Look Gran Fondo Marmotte Hochkönig

Ein Erlebnisbericht; "Chronologie des Grauens" wäre dann doch etwas zu dick aufgetragen...

Rund um den Jahreswechsel bin ich vor dem Computer gesessen, habe über das abgelaufene Jahr sinniert und neue Pläne geschmiedet. Dabei bin ich über das Look Marmotte Hochkönig gestolpert, mit der Premierenaustragung im Jahr 2017 - die anderen Rennen der Marmotte-Serie in den französischen Alpen und den Pyrenäen haben mittlerweile Kultstatus und werden von teilnehmenden Massen geradezu überrannt.

Vorspulen zum 16. Juni. Ich trete aus dem Hotel Alpenrose im Zentrum von Mühlbach am Hochkönig, die Wolken sind für einen kurzen Moment nicht mehr tiefschwarz, der Asphalt ist vom letzten Regenguss gerade wieder aufgetrocknet. Am Plan steht eine kurze - wie der Profi sagt - "Reconnaissance" oder wie der Profi unter den Profis sagt "Recon", also ein kurzes Kennenlernen der Strecke, bevor es richtig zur Sache geht. Ich rolle also gemütlich auf der Hauptstraße, vorbei am Startbereich des Gran Fondo und direkt in den Anstieg zum Dientner Sattel. Schnell wird mir klar, was da morgen auf die Rennteilnehmer zukommt... Rund 2.500 Meter nach dem Start meines kurzen Rendevouz mit der Strecke stehen 12% Steigung auf meinem Wahoo. Ernsthaft?? Ich sehe ein paar Tropfen auf meinem Display, stelle fest, dass rund um mich herum die Wolken wieder auf Weltuntergang umgeschaltet haben und drehe erleichtert mitten im Anstieg wieder um. Kurz die Bremsen loslassen und mit 80 km/h den Berg runter, zurück nach Mühlbach - das reicht fürs Erste.

Nochmal einen Schritt zurück... im Frühjahr war für mich bald klar, dass ich beim Look Marmotte Hochkönig mitfahre. Anfang Mai dann noch das zusätzliche Ziel 2017 - Ötztaler! Während ich jedoch seit der Ötzi-Anmeldung ein Damokles-Schwert des Trainings und der Vorbereitung über mir schweben spüre, war das beim Marmotte Hochkönig irgendwie nicht der Fall - warum weiß ich nicht so genau. Ich habe über das Rennen gebloggt, hab mit vielen Leuten darüber gesprochen, hab das Gewinnspiel für die Startplätze gemacht - mich also vielfältig damit beschäftigt. Offenbar habe ich dabei allerdings aus den Augen verloren, dass ich auch selbst am Start stehen werde und 170km und 3.400 Höhenmeter abspulen werde. Nicht so viele wie beim Ötztaler aber auch nicht gerade wenig... Aber reicht ja, wenn man das 12 Stunden vor dem Start des Rennens realisiert... ;)

17. Juni 2017, 7:30 Start! Rund 400 Teilnehmer haben sich zur ersten Austragung des Look Gran Fondo Marmotte Hochkönig eingefunden. Man spricht in erster Linie holländisch - offenbar war die Anziehungskraft der Marke "Marmotte" für die "Stammklientel" sehr anziehend. Leider sind nicht allzu viele Österreicher am Start - ich führe das auf den üppig bestückten Rennkalender in (Ost-)Österreich zurück und vielleicht auch auf die Tatsache, dass man sich ja gerne mal anschaut, "wie das denn beim ersten Mal so läuft" und erst einsteigt, wenn eine Veranstaltung etwas etablierter ist.

Was nach dem Startschuss folgt, ist der leiseste und langsamste Start eines Rennens, den ich je erlebt habe - 550 Höhenmetern auf den ersten sechs Kilometern. Die Kolonne wälzt sich hinauf auf den Dientner Sattel, der mit seinen 1.370 Metern Höhe nominell eigentlich kein Schwergewicht darstellt. Einige bleiben stehen, einer fällt um, weil er beim Losfahren nicht in die Pedale kommt, Pulsuhren piepsen! Knappe 30 Minuten dauert diese erste Probe, knapp 300 Watt stehen am Tacho - neuer FTP-Wert, danke!

Schnelle Abfahrt hinunter nach Dienten, bevor es gleich in den nächsten Anstieg geht, den Filzensattel. Diesmal nur 200 Höhenmeter auf zwei Kilometern, allerdings muss jetzt eine Gruppe her, denn danach geht es für knapp 100 Kilometer flacher dahin - alleine kämpft man dort auf verlorenem Posten. Mit Ach und Krach hole ich am Ende des zweiten Anstiegs drei Niederländer ein, die in der Folge recht motiviert erscheinen, die größere Gruppe vor uns einholen zu wollen. Wir einigen uns relativ schnell auf eine konstruktive Zusammenarbeit, was folgt, ist der erste wirklich funktionierende belgische Kreisel meiner Radsportkarriere (mit drei Niederländern wohlgemerkt).

Durch Saalfelden und Lofer geht es nach Tirol, das Tempo ist hoch, seit wir die Gruppe vor uns eingeholt haben. Auf den Bundesstraßen ist genug Platz, einziger Wermutstropfen ist der doch recht dichte Verkehr. Die Bundesstraßen im Salzburger Land als auch in Tirol sind nun mal die verkehrlichen Hauptachsen. Diese für mehrere Stunden abzusperren wäre vermutlich im Rahmen einer derartigen Veranstaltung nicht möglich bzw. würde das Rennen sonst nicht stattfinden.

Die 200 Höhenmeter des Griesen"passes" werden weggedrückt, jetzt den Anschluss zur Gruppe zu verlieren wäre fatal! Das Gleiche hab ich mir ja auch schon gedacht, als wir samt und sonders an der ersten Labe vorbeigerauscht sind. (Ob das intelligent war, dazu kommen wir noch...). An Hochfilzen vorbei, zurück nach Saalfelden, noch immer bei hohem Durchschnittstempo - ich hänge eher schon hinten an der Gruppe dran, wie das die Typen da vorne im Wind machen, ist mir schleierhaft.

Bei der zweiten Labe (bei KM 107) schwenkt zu meiner großen Freude und Beruhigung die gesamte Gruppe zur Seite. Die Laben sind so organisiert, dass man absteigt, sich verpflegt, nachfüllt und dann weiterfährt - im Gegensatz zu Verpflegungsständen, wo Getränke in die Straße hinausgehalten werden. Für mich ist die Verpflegung hier essentiell, sowohl Flaschen als auch die mitgebrachten Riegel und Gels waren längst verbraucht.

Mit einer etwas kleiner gewordenen Gruppe rollen wir weiter durch Zell am See und auf der Bundesstraße Richtung Taxenbach. Plötzlich geht es allerdings recht unvermittelt rechts von der Bundesstraße ab, ich sehe gerade noch aus dem Augenwinkel ein Schild des Veranstalters mit den Daten des Anstiegs, erkenne aber nicht, wie lange und wie steil die Geschichte werden wird. Embach heißt das gute Stück, 8% auf knapp drei Kilometern, genug für mich, um den Anschluss zu meiner Gruppe zu verlieren. Hier spüre ich jetzt auch recht deutlich, dass meine Speicher und Beine leer sind. Dazu kommt die Sonne, die jetzt recht unmittelbar herunterknallt, im Vergleich zu den 8 Grad am Start fühlen sich diese 25 Grad jetzt an wie in der Sauna.

KM 140 - Ein Blick auf die Höhenmeter offenbart das Ausmaß des Dramas. 30 Kilometer noch bis ins Ziel und es fehlen noch 1.800 Höhenmeter auf die angegebenen 3.400. Ich kämpfe mich den Dientenbach entlang hinauf nach Dienten zur dritten und letzten Labe. Langsam aber mit gleichmäßigem Tritt, Hirn möglichst abschalten. Bei der Labe nehme ich "Einmal Alles", die 10 Minuten Pause sind gut investiert.

Was danach folgt ist der Dientner Sattel - noch einmal! Diesmal von der anderen Seite und nicht so schlimm wie bei der Hinfahrt. Danke dem Sportograf-Kollegen auf der Kuppe des Sattels für die Möglichkeit, mir kurz Rotz, Schweiß und Tränen aus dem Gesicht zu wischen, bevor er abdrückt. Es folgt eine extrem schnelle Abfahrt hinunter nach Mühlbach, an meinem Hotel an der Hauptstraße vorbei (ich hab mehr als einmal überlegt, dort einfach stehenzubleiben und mich ins Hotelbett zu legen...) und noch ein Stück weiter zur Abzweigung zum Arthurhaus.

Ein Markenzeichen der Marmotte-Rennen und ein tatsächliches Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Veranstaltungen ist die Bergankunft. Spannend, so etwas beim Giro oder der Tour anzusehen, aber selber beim einem Rennen? Es geht also rauf zum Arthurhaus, 7,6 Kilometer, 654 Höhenmeter, 8% durschnittliche Steigung laut Strava. Was folgt, ist eine der längsten Stunden meines Lebens. Meine Gefühlsregungen, Gedanken, Flüche, Tränen und meinen Ärger möchte ich nicht im Detail schildern... Der letzte Kilometer mit einer Steigung von 12% war eine der härtesten Angelegenheiten ever. Und genau dort Kindergruppen zum Anfeuern hinzustellen, ist natürlich auch fies, da MUSS man ja weiterkämpfen. Der Zehnjährige, der mir die Faust hingehalten hat, mit dem Befehl "Ghettofaust!", hat mich aber zumindest über 100 Meter hinweggetragen.

Über die Ziellinie vor dem Arthurhaus auf knapp 1.500 Metern Höhe. Zufrieden, aber sehr sehr erschöpft. Für die letzten 30 Kilometer als Einzelkämpfer habe ich knapp zwei Stunden gebraucht, hinauf zum Arturhaus genau eine. Die Tanks leer, zu wenig und zu spät gegessen, aber glücklich, mich durchgewurschtelt zu haben!

Oben im Zielbereich treffe ich nach und nach auf meine lieben Mitstreiter Sebastién, Markus, Elisabeth, Nora und Siggi. Alle haben tolle Leistungen erbracht: Elisabeth gewinnt ihre Altersklasse und wird Gesamtzweite, Markus und Sebastién werden Dritter bzw. Vierter in ihren Altersklassen (Gesamt 14. bzw. 20.) - Wahnsinns-Ergebnisse! Und sie sind damit auch für die UCI Gran Fondo Weltmeisterschaft im August in Albi (Frankreich) qualifiziert!

Zum Abschluss noch ein paar Eckdaten:
173 km // 3.140 Höhemeter (laut Wahoo)
Normalized Power 234 Watt, Training Stress Score 476,6 :)
Temparatur von 8 Grad in der Früh bis zu 30 Grad zu Mittag
Zeit im Sattel 6:51 h

Strava: GF Marmotte Hochkönig