Die Legende erzählt von einer unerfüllbaren Liebe hier auf der Remschnigg-Alm - er auf der österreichischen, sie auf der slowenischen Seite, getrennt durch einen schwer zu überbrückenden Grenzzaun. Mit dem Fall der Grenzen Anfang der 90er-Jahre war die Barriere verschwunden, die Liebe war möglich und es kam zusammen, was zusammengehörte. Sprung in die Gegenwart, das Verhackertbrot bei der Labe auf der Remschniggalm auf „der Wüdn“ - der mittleren Streckenvariante der Gravelei, mundet ausgezeichnet, dreht man sich nach rechts breitet sich unter einem die herrliche Südsteiermark aus, auf der linken Seite die ebenso wunderschöne slowenische Blaupause. Die Gedanken schwelgen und man sortiert beim Blick in die Ferne gerade seine Gedanken und überlegt, ob auch bei der Südsteiermark und der Gravelei hier endlich ein Pärchen zusammengefunden hat, das schon immer zusammengehört hat. Bis ein plötzliches „Foah Weida!“ freundlich aber bestimmt daran erinnert, dass man ja auch noch in die Pedale zu treten hat. Also das Verhackertbrot fertig gegessen, das Getränk mit dem passenden Namen „Rote Rakete“ ge-ext, zurück in den Sattel und weiter über die großartige Strecke der Gravelei. Es geht vorbei an den in einer langen Reihe geparkten Autos mit den Kennzeichen von Graz und Graz Umgebung – wir sind also hier nicht die Einzigen, die die landschaftlichen Reize genießen wollen. Es ist ganz schön viel los hier und die Schlange der Autos ist beträchtlich, dennoch wollen wir nicht von Overtourism sprechen - am Ende verträgt sich dieser Begriff auch nur bedingt mit dem lokalen Dialekt.
Speaking of Tourism... für wen die Südsteiermark und Radfahren bis jetzt kein adäquates Pärchen waren, der soll an dieser Stelle eines Besseren belehrt werden. Über Jahre schon kommt man hier her, um den großartigen Weißwein, Kastanien, Kürbiskernaufstrich und die Landschaft zu genießen, mit dem Radfahren assoziiert man die hügelige Gegend aber nur bedingt. Und wenn dann trifft man eher den Typ E-Bike-Fahrer an - vorzugsweise pärchenweise und in fortgeschrittenem Alter. (Was an dieser Stelle natürlich keine Wertung darstellen soll). Es mehren sich allerdings die Initiativen rund ums sportliche Radfahren - verantwortlich dafür ist mitunter auch der Weinlandhof in Gamlitz und in Person der umtriebige Thomas Pichler als radbegeisterter Hotel-Chef. Hier gibt's im Frühjahr mit dem sogenannten Woamfoahn einen Rennrad-Saisonauftakt mit für April schon akzeptablen Temperaturen und großartigen geführten Routen, das Pendant dazu im Herbst ist die Gravel-Extravaganza, bei der die Südsteiermark abseits der befestigten Straßen erkundet werden kann. Und hier sind wir schon wieder beim Thema und auf den gleichen Strecken unterwegs wie hier und jetzt bei der Gravelei. Es geht durchaus anspruchsvoll auf und ab, hinter Kurven plötzlich in den Wald hinein, über Forstwege und Single Trails, durch Höfe durch, an Buschenschanken vorbei - wenn wir bei der Gravelei nicht doch ein wenig flotter fahren würden, böte sich hier natürlich eine kurze Einkehr an... – und die wichtigste Charakteristik der Südsteiermark: es geht immer auf und ab, auf und ab, auf und ab, auf und ab. Max als einer der Verantwortlichen für die Gravelei sagt nicht umsonst: „einen gewissen Haxn musst schon mitbringen“.
Und wenn wir schon von Organisation reden: es war durchaus keine leichte Aufgabe, das Projekt Gravelei auf die Welt zu bringen. Österreich ist generell kein einfaches Pflaster was das Veranstalten von Rad-Events angeht – behördliche Auflagen und Vorgaben, Abstimmungen mit unterschiedlichen Stellen, das alles sind Herausforderungen, die für kleine Organisationen oder Vereine mitunter schwer zu stemmen sind und ganze Veranstaltungen vor „sein oder nicht-sein“ stellen kann. Auch der Gravelei ist es nicht anders ergangen und nach einigem Hin und Her, Brainstorming und Durchdenken von unterschiedlichen Varianten hat es ein ganzes Jahr gedauert, bis das Format in der gewünschten Form umgesetzt werden konnte.
Und es ist durchaus gelungen was man hier auf die Beine stellen konnte. Ein kommodes Begleitprogramm, lokale und begeisterte Betriebe, die das Vorhaben unterstützen, regionale Sponsoren, die tatsächliches Interesse daran haben, Radsport und Veranstaltungen zu fördern und nicht zuletzt Personen mit Handschlag-Qualität und „hands-on“-Mentalität, die dafür sorgen das Ding auch auf den Boden zu bekommen. All diese Dinge gehen einem glücklicherweise NICHT durch den Kopf, während man mit dem Gravelbike über Schotterstraßen und Waldwege pflügt, denn darum kümmern sich die Organisatoren - das ist das Angenehme, wenn man gar nicht mitbekommt, was im Hintergrund alles notwendig ist um Dinge zum Laufen zu bekommen. Besser konzentriert man sich auch auf den Untergrund, denn es sind durchaus Passagen dabei bei denen man die Gedanken nicht schweifen lassen und nicht den großartigen Ausblick genießen sollte sondern Kontrolle übers Rad behalten muss, um flüssig und flott über Wurzeln, Steine und Schotter zu fliegen. In einem früheren Stadium der Projektplanung war einmal vorgesehen, die Gravelei als „echtes“ Rennen zu fahren, angesichts der anspruchsvollen Strecken ist es aber vielleicht sogar besser das ganze als Ausfahrt oder Genussfahrt oder Gruppen-Event durchzuführen. Wäre doch schade, wenn man im Rennmodus die besonders schönen Ecken einfach übersieht...
Die drei Strecken (Gstört, Wüd und Gmiatlich) vereinen sich an manchen Punkten, verabschieden sich dann wieder voneinander nur um vor der nächsten Labe wieder kurz zusammen zu kommen. So ergibt sich ein ständiges Verabschieden und Wiedersehen – spätestens bei der nächsten Labe sieht man sich aber wieder. Hier gibt es kühle Getränke - absichtlich keinen Alkohol auch wenn wir in einer wunderbaren Weinbaugegend sind – mit einem Glas Wein anstoßen können wir auch am Abend nach dem Event. Während die Weingläser in Promille gerechnet werden beschäftigen wir uns mit den Steigungen, die in Prozent gerechnet werden. Und davon gibt's hier ausreichend und durchaus knackig.
Die Vielfalt der Gegend spiegelt sich in den Strecken der Gravelei wieder. Vom Startpunkt in Gamlitz aus gesehen ergeben sich je nach Himmelsrichtung unterschiedliche Landschaften und unterschiedliche Möglichkeiten für Radrouten. Nach Norden Richtung Leibnitz wirds eher flach und man kann ein paar Meter rollen, nach Westen hin wird es sanft hügelig, spätestens bis man Richtung Heb- und Koralm kommt - dort sind die langen Anstiege versteckt. Und Richtung Süden und zur Grenze zu Slowenien hin ergibt sich ein Meer aus endlosen Hügeln – wunderschön anzuschauen, mitunter aber herausfordernd drüber zu radeln.
Man endet dort wo man begonnen hat – im Motorik Park in Gamlitz, wo es neben einem kühlen Eis oder Getränk nach dem Rennen auch die Möglichkeit gibt, kurzerhand in den Badesee zu springen. Wichtig ist nur rechtzeitig wieder aus dem Wasser zu steigen, um für die finnische Party bereit zu sein.
Was bleibt vom Wochenende in der Südsteiermark und der Gravelei? Auf jeden Fall ein tolles Event dass sich einen noch größeren Rahmen verdient hat, bei dem man durchwegs auf entspannte, sympathische, fröhliche und nette Menschen stößt, der „vibe“ passt genau. Oder sollte ich nicht darüber reden, damit das Event nicht zu überlaufen wird und so gemütlich bleibt wie jetzt? Foah weida!
Fotos: Max Hofstädter und Oliver Andorfer / Gravelei