Gemeinsam mit meinen Vereinskollegen von Pbike gehts auf einen 140 Kilometer langen Gravelride entlang des Marchfeldkanals zum Schloss Hof. Da bleibt genug Zeit, um auf die Besonderheiten von Gravelbikes, Crossern und Mountainbikes einzugehen, die Unterschiede zu suchen und technische Feinheiten zu besprechen. Am Ende muss man beim Radfahren immer treten und im Gelände ist das noch einmal anstrengender als auf der Straße, aber der Untersatz spielt dabei keine so große Rolle - das gemeinsame Abenteuer steht im Vordergrund. ;)
6 Dinge, die sich (bis jetzt) durch Corona verändert haben
Corona begleitet uns nun schon mehrere Monate und wird es wohl auch noch einige Zeit tun. In unzähligen Bereichen des Lebens ist dabei kein Stein auf dem anderen geblieben und auch das Radfahren bzw. der Radsport wurden getroffen. Manche Wirkungen und Konsequenzen schaden dem Radsport, andere beflügeln ihn oder erlauben neue Blickwinkel auf Vorhandenes.
1. Mehr Radfahrer*innen auf den Straßen
Nach ein paar Wochen Lockdown und Selbstisolation war der Hunger auf frische Luft umso größer. Die Möglichkeit für Bewegung im Freien wurde bereitwillig genützt, viele haben dafür das Rad als Modus Vivendi gewählt. Neben den "üblichen Verdächtigen" waren plötzlich viele neue Gesichter zu sehen - Familien mit Kindern, Pärchen und Menschen, die (mehr oder weniger offensichtlich) vorher noch nicht allzu viel Bezug zum Rad hatten. Die dazugehörigen Räder waren großteils Fundstücke aus Kellern und Garagen, instandgesetzter Altbestand oder gerade (noch) neu angeschaffte Flitzer. Besonders im urbanen Umfeld wurde dadurch auch der Nutzungsdruck auf die Rad-Infrastruktur immer größer, Mängel wurden evident und mehr oder weniger solide Lösungen wurden eingerichtet (Stichwort: Pop-Up-Radwege).
Auch und speziell am Rennrad war ein massiver Zuwachs erkennbar. Das ist gut und richtig und für den Sport nur förderlich. Und man kann den meisten auch unterstellen, dass sie es freiwillig und zum Spaß machen. Nicht, dass irgendjemand gezwungen würde, Rad zu fahren... Aber manchmal - im speziellen bei Paaren - kann man beobachten, dass es einem Teil des Paares mehr Spaß zu machen scheint als dem anderen (was wiederum dem Vergnügen des ersteren abträglich ist, usw. usf.).
Am Wichtigsten - und da unterschreibe ich alles, was Phil Gaimon in einem seiner letzten Videos gesagt hat - ist, allen neuhinzugekommenen Radfahrer*innen Unterstützung zu geben oder anzubieten. Keine nett gemeinten Hinweise auf falsche Sockenfarben, keine Verweise auf irgendwelche historischen "Regeln" und kein "Mansplaining", sondern ein herzliches Willkommen heißen! Und wenn von den Entgegenkommenden keine*r zurückgrüßt, dann nervt mich das zwar stellenweise, aber vielleicht war mein Winken ja auch erst der erste Gruß in einer neuen Rennradkarriere! ;)
2. Stellenwert von Gruppenfahrten
Abgesehen von Haushaltsmitgliedern war das gemeinsame Fahren mehr oder weniger nicht möglich - und das war anfangs auch gut so. Ich für meinen Teil habe in den letzten Jahren und speziell zu Beginn meiner "Karriere" viel Zeit alleine im Sattel verbracht. Für mich hatte es (und hat es noch immer) einen besonderen Wert, alleine und in Ruhe durch die Landschaft pedalieren zu können und dabei über Gott und die Welt nachzudenken und die Gegend zu genießen. Ich hatte daher nie große Probleme, wenn gerade keine Gruppe da war, der ich mich anschließen konnte. Umgekehrt kenne und schätze ich natürlich auch den Wert einer guten (aus Trainingszwecken) oder unterhaltsamen (aus Entspannungs- und Zerstreuungsgründen) Gruppe. Auch meine Vereinskolleg*innen vom PBIKE Racing Team haben mir gefehlt.
Mit den Entbehrungen der vergangenen Monate und dem Fehlen von Gruppenaktivitäten haben diese aber aus meiner Sicht wieder an Wertigkeit gewonnen. Wenn ich jetzt in einer (vorerst nur kleinen) Gruppe unterwegs bin, freue ich mich umso mehr und genieße die Gesellschaft. Was mir dennoch etwas fehlt, sind die "großen" organisierten Rides - hier überwiegen allerdings Vernunft und Hausverstand. Ich habe dieses Jahr lange überlegt, - wie in den letzten Jahren auch - eine Sonnwendfahrt zu organisieren, doch möchte ich persönlich nicht in der Zeitung lesen, dass sich bei einer "Radausfahrt nahe Wien 80 Leute mit Corona angesteckt" haben - unwahrscheinlich zwar, aber man muss ja nichts provozieren.
3. Boom im Radhandel
Ein Wechselbad der Gefühle musste der Rad-Handel erleben. Auf den Schock des vollständigen Zusperrens und der damit verbundenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten folgte ein eher unerwarteter Boom. Glücklicherweise war Radfahren einer jener Bereiche, die als "wichtig" oder "systemrelevant" erkannt wurden und recht früh wieder geöffnet werden konnte - wenn auch unter bestimmten Voraussetzungen wie Maskenpflicht und beschränkter Personenzahl im Geschäft. Aber der Boom in allen Bereichen des Radfahrens bescherte den Radgeschäften regen Zulauf. Mit dem Ergebnis, dass Servicetermine trotz Krise plötzlich nicht mehr zu bekommen, Lager so gut wie leer und Bestellzeiten lang waren. An dieser Stelle zu attestieren, dass es dem Radhandel "eh gut gegangen ist", wäre wohl falsch. Dass er mit einem blauen Auge davongekommen ist, stimmt wohl. Dies bestätigt auch Christoph Pulz, Eigentümer von PBIKE mit zwei Standorten in Wien, obgleich auch er spannende Veränderungen wahrgenommen hat. So hat sich laut Christoph die Struktur der Kundschaft gewandelt - sie ist breiter geworden, etwas weg von den sportlichen Radler*innen, hin zu mehr Freizeit- und Alltagsfahrer*innen.
Konkurrenz besteht natürlich nach wie vor zwischen stationärem Handel und Online-Shops. Vor allem während der Schließungen und Einschränkungen im stationären Handel haben viele den einfachen und schnellen Weg zu den Online-Händlern gesucht. Wobei sich dieses "Entweder-Oder", das hier immer wieder heraufbeschworen wird, in meinen Augen durchaus auch gut ergänzen könnte. Beratungsintensivere Dinge kauft man im stationären Handel - Bikefittings, Satteldruckanalysen und andere Services macht man ebenfalls dort, wo man einen persönlichen Ansprechpartner hat. Pedalplatten oder Bremsbeläge kann man meiner Meinung nach auch mal online besorgen - wo große Online-Händler im Verkauf billiger anbieten als der stationäre Handel im Einkauf (!) zahlt, ist tatsächlich nicht mehr viel zu holen.
4. Bikepacking als Ersatzprogramm
Genauso wie Gruppenfahrten oder Events sind auch so gut wie alle Radmarathons, RTFs und Großveranstaltungen gestrichen worden. Man wird sehen, welche Events im Herbst noch über die Bühne gehen werden, ein Großteil der Veranstalter hat auf andere Formate umgestellt - beispielsweise das individuelle Abfahren der beschilderten Strecken mit Zeitnehmung und anschließender Wertung.
Schaut man sich aber auf Strava um, haben viele Radler*innen ein würdiges Ersatzprogramm gefunden. Egal ob es ein tatsächlicher Trend ist, die Abenteuersehnsucht geweckt wurde oder aber zahlreiche Marketingagenturen nachgeholfen haben: Bikepacking ist da (und wird es vermutlich auch bleiben)!
Tatsächlich erlangt man mit ein paar aufs Rad geschnallten Taschen eine ordentliche Portion Freiheit. Es ist ein Ausbrechen aus Routinen (egal ob damit der Arbeitsalltag gemeint ist oder aber die ewig gleiche Trainingsrunde), ein Kennenlernen von neuen Regionen und Gegenden, ein Begegnen (mit Mitfahrenden, Entgegenkommenden oder überhaupt irgendjemand anderem) und ein Entschleunigen. Im Idealfall hat man den ganzen Tag Zeit zum Radfahren, muss sich um nichts kümmern, kann seinen Alltag tatsächlich einmal vollständig ausblenden und in den Tag hineinleben. Und wer an dieser Stelle bemängelt, dass manche Grenzen geschlossen sind (oder geschlossen waren oder es bald wieder sein könnten), der soll einmal seine nähere Umgebung erkunden, denn auch dort gibt es unerforschte Ecken, unbekannte Landstriche und Schätze, die nur darauf warten entdeckt zu werden.
5. E-Sports schön und gut, aber…
Zu Beginn des Lockdowns habe ich über Möglichkeiten geschrieben, wie man mit Hilfe von Zwift fit bleiben und sein Training abwechslungsreich gestalten kann. Und ich bin und bleibe nach wie vor der Überzeugung, dass Zwift und ähnliche Trainingsplattformen eine enorme Bereicherung für den Alltag vieler Radler*innen sind. Zwift selbst hat dies natürlich auch erkannt und investiert massiv in die Software, hier werden wir in den nächsten Monaten und Jahren wohl noch viele spannende Erweiterungen und Features dazubekommen. Auch Profiteams und Veranstalter haben schnell reagiert und zahlreiche Rennen und Rennserien aus dem Boden gestampft. Nicht alles ist gleich "E-Sports" und nicht alles unterliegt der gleichen Ernsthaftigkeit, aber für viele Profis und Teams waren virtuelle Rennen die einzige Möglichkeit, aktiv zu bleiben. Dabei können bestimmte Mankos (noch) nicht ignoriert werden: inkonsistente Gewichtsangaben, unterschiedliche Trainer-Fabrikate, ungenaue Power-Outputs, Drop-Outs aufgrund von schlechten Internetverbindungen... Auf viele Fragen müssen noch Antworten gefunden werden, bevor man daran denken kann, eine ernsthafte Profiserie oder Meisterschaften auf Zwift auszutragen, doch der Weg ist der richtige. Und dabei werden trotz Zwift und virtuellen Rennen in Zukunft auch weiterhin "echte" Rennen stattfinden. Kein "Video killed the Radio Star" sondern ein tolles zweites Standbein für den Profi- und Amateurradsport.
6. Profis erbringen irre Leistungen
Und wenn wir schon bei den Profis sind: Die Vorbereitung während der Wintermonate gipfelt üblicherweise in Höchstleistungen während des Sommers wenn die großen Rennen stattfinden. Ohne diese Rennen hatten die Profis Zeit, sich anderen Aufgaben zu widmen - und diese hatten und haben es in sich. Everesting, KOMs, Rekorde, Long Distance-Trips - alles war dabei. Emanuel Buchmann von BORA stellte einen Everesting-Rekord auf (auch wenn dieser dann für ungültig erklärt wurde), Marco Haller von Bahrain-Merida knallte mit einem Höllentempo von Wien nach Klagenfurt, Matthias Krizek vom Team Felbermayer-Simplon Wels ging rund um Wien auf (sehr erfolgreiche) KOM-Jagd und MTB-Weltmeister Alban Lakata schoss mit mehreren intensiven Wochen in seiner Heimat Osttirol den Vogel ab. In einer "Ultimate Week" fuhr Lakata an sieben Tagen jeweils mindestens 200 Kilometer und 5.000 Höhenmeter (zahlreiche KOMs inklusive und einmal davon mit dem Mountainbike)!
Das spezielle an diesen Leistungen ist, dass sie die Leistungen der Profis anschaulicher machen. Während einer Tour de France sind die Leistungen, Geschwindigkeiten und Platzierungen der Fahrer sehr abstrakt, die ganze Veranstaltung findet gleichsam in einer anderen Welt statt. Den Anstieg von Buchmanns Everesting kennen allerdings viele Fahrerinnen und Fahrer, schließlich ist dieser Teil des Ötztaler Radmarathons. Wenn Matthias Krizek den KOM auf der "Eisernen Hand", dem steilsten Anstieg Wiens holt, ist das "erlebbar" wenn man die Zeiten vergleicht. Und nochmal der Ötztaler als Referenz, den Alban Lakata hier quasi sieben Mal in einer Woche absolviert hat. Für mich persönlich ist das ein wertvoller Einblick in das Training und vor allem die Leistungen, die die Fahrerinnen und Fahrer hier erbringen müssen und können. Und den Erlebnisberichten, Fotos und Daten auf Strava zufolge haben sie dabei auch Spaß. Womit sich wiederum der Kreis zum Beginn dieses Artikels schließt - Radfahren soll schließlich Spaß machen, Leistungen und Erlebnisse der einen inspirieren die anderen und bringen neue Radfahrerinnen und Radfahrer auf die Bühne! Ride On!
Wallfahrt nach Mariazell
Ich habe viele Wochen Urlaub meiner Kindheit auf einem Bauernhof kurz vor Mariazell verbracht. Ich habe dort im Stall gespielt, Tiere gefüttert, hab mit dem Hund des Hofs den Kopf in den Bach gesteckt auf der Suche nach Fischen, war dabei, wie ein Schwein geschlachtet wurde, war auf der nahegelegenen Alm auf der Hütte oder bei Festen, habe mich mit dem Nachbarsjungen angefreundet, frische Kuhmilch getrunken, hab im Auto meiner Eltern geweint, als wir am Kreuzberg nach Mariazell im Schnee stecken geblieben sind und war jedesmal glücklich über den Geruch von Lebkuchen, wenn man vor der Lebzelterei Pirker steht. Diese Liste könnte ich noch lange weiterführen, es dürfte daher verständlich sein, dass ein Besuch in Mariazell für mich immer etwas besonderes war und sein wird. Während andere wallfahren gehen und sich den Weg nach Mariazell (zum Beispiel auf der Via Sacra) pilgernd erarbeiten, habe ich nun bereits mehrmals meine Leidenschaft Radfahren benützt, um dorthin zu kommen.
Mariazell, 1982
Während meine bisherigen Besuche mit dem Rad immer eine Übernachtung oder einen Transfer zurück vorsahen, war dieses Mal die Hin- und Rückfahrt an einem Tag geplant. Auch im Hinblick auf mein Saison-Highlight - die Race Around Austria Challenge - brauche ich die Kilometer und Stunden im Sattel ohnehin. Und die geschätzte Distanz von rund 300 Kilometern entsprechen auch dem, was zwischen Sonnenauf- und untergang halbwegs gut unterzubringen ist.
Ich frage in der WhatsApp-Gruppe meines Vereins “PBIKE” nach potentiellen Mitfahrern und ein paar spontane Rückmeldungen deuten darauf hin, dass meine Idee und das Unterfangen wohl nicht so absurd sein dürfte… Die Route ist mithilfe von Komoot schnell gebastelt, orientiert sich bei der Hinfahrt an jener Strecke, die ich auch in meiner Kindheit im Auto meiner Eltern erlebt habe. Die Rückfahrt wiederum verläuft auf einigen Abschnitte des Sankt Pöltener Radmarathons und führt am nördlichen Rand des Wienerwalds zurück nach Wien.
Der Wettergott ist uns gnädig gesinnt, während der Pfingstsonntag noch stark verregnet war, begrüßt mich der Pfingstmontag mit blauem Himmel und frischen 11 Grad. Das Rad ist vorbereitet und meine Ortlieb Rahmentasche ist gut gefüllt mit Ersatzgewand, Lampen, Werkzeug und Verpflegung. Schon beim Packen am Vorabend scheint mir das eine oder andere Teil redundant oder zu viel zu sein, aber im Hinblick auf das Race Around Austria im August möchte ich ein paar Dinge ausprobieren. Wieviel passt wirklich in eine Rahmentasche? Was kann ich mitnehmen und was muss zuhause bleiben? Reicht das Setup auch für 24 Stunden?
Bei der Wiener Oper stößt Matthias zu mir, am Gürtel Sebastian und in Brunn am Gebirge noch Jojo. Damit ist das Quartett komplett und nach einem Kaffee an der Tankstelle geht es los Richtung Südwesten. Die ersten Kilometer sind bekanntes Terrain und kein Meter Straße kann hier noch überraschen. Sehr wohl überraschend ist jedoch der starke Wind, der uns recht ungeniert direkt ins Gesicht bläst. Solange dieser am Rückweg als Rückenwind dient, tolerieren wir das… Das Tempo ist anständig, alleine würde ich die ersten Hügel wohl etwas langsamer hinauffahren, doch die Gruppendynamik ist in solchen Situationen ein Hund. Vor allem auf langen Distanzen kann sich das schon mal auswirken - ob man möchte oder nicht.
Nach rund 60 Kilometern - auf “dem Hals” zwischen Pottenstein und Pernitz springt der Höhenmeterzähler über die 1.000 und es sollen noch einige folgen. Der blaue Himmel ist zunehmend grau geworden und dicke Wolken haben sich über unsere weitere Route gelegt. Dass wir den ganzen restlichen Tag keine Regentropfen spüren werden obwohl permanent schwarze Wolkenbänke im Blick waren, wird uns noch einige Male verwundern. Bis auf den Wind also ideale Bedingungen fürs Radfahren - Thermo-Bibs und mein mittlerweile liebgewonnenes Sportful Fiandre-Trikot, das wie gebaut ist für solche Rahmenbedingungen.
Von der Wirkungsstätte Ferdinand Raimunds - Gutenstein -, geht es die “Haselrast” hinauf. Dabei handelt es sich um ein Kleinod der Voralpen - geographisch sitzt man hier etwas zwischen den Stühlen: nicht mehr Wienerwald, etwas Voralpen, gerade noch Kalkalpen. Autoverkehr ist hier eine ausgesprochene Seltenheit, ehrlicherweise gibt es auch nicht allzu viele Destinationen, die man hier ansteuern könnte. Motorradfahrer sind hier schon häufiger, glücklicherweise ist das Wetter nicht (noch) besser - sonst würden sich hier scharenweise Biker Richtung Kalte Kuchl bewegen, einem bekannten Treffpunkt der Szene. Jojo absolviert an der Spitze unserer Vierergruppe ein etwas ambitioniertes Intervall und schon sind wir am Gasthaus Kalte Kuchl vorbeigerollt, welches sich an sich ideal für eine Pause angeboten hätte. (Wer dort stehenbleiben möchte: —> Buchteln mit Vanillesauce!!)
Nach dem Ochssattel geht es auf einer schnellen und flowigen Abfahrt hinunter nach Sankt Aegyd am Neuwalde, von dort - entweder auf der Bundesstraße oder dem parallel verlaufenden Radweg auf der alten Bahntrasse - weiter nach Kernhof, vorbei am - ob seiner Skurrilität weithin bekannten - Kameltheater (inkl. Pizzeria “Don Kamelo”) und zum Fuße des “Gscheid”. Das Gscheid markiert eine Art Landschaftswechsel, man bewegt sich am Göller entlang - einem Berg, der vor allem unter Wanderern und Skitourengehern viele Anhänger hat. Während die Straße auf den letzten Kilometern bereits merklich nach oben “geschmiert” hat, man also die Steigung zwar etwas spürt, tendenziell aber immer etwas zu schnell und über seine Verhältnisse fährt, stellt sich die Straße aufs Gscheid am Ende vor einem auf. Die Steigungsprozente gehen unvermittelt ins Zweistellige, 13 Prozent auf ein paar hundert Metern sind nach 115 Kilometern schon eine spürbare Herausforderung. Auf der anderen Seite des Gscheid fährt man hinunter nach Terz, überquert die Grenze zwischen Niederösterreich und der Steiermark und befindet sich quasi schon im Landeanflug auf Mariazell. Einzig der Kreuzberg, bestehend aus einigen Kehren und knapp 100 Höhenmetern ist noch zu überwinden und schon rollt man unter dem Schild “Willkommen in Mariazell” durch, das an diesem Tag dem Wertungsbogen einer großen Rundfahrt gleichkommt.
Mariazell selbst bedarf keiner Vorstellung, dafür ist der Wallfahrtsort zu bekannt - die Basilika in ihrem markanten Rot-Weiß mit den drei Türmen, der Lebkuchengeruch, die Rivalität um den ältesten Magenbitter zwischen den Häusern am Platz (Pirker und Arzberger), die Devotionalien-Stände auf dem Kirchenvorplatz und die Hotels und Kaffees, vor denen sich Ausflügler, Motorradfahrer und Pilger sammeln. Unsere Wahoos zeigen 140 Kilometer und 2.200 Höhenmeter, also rund die Hälfte dessen, was wir uns für diesen Tag vorgenommen haben. Kaffees, Säfte, Toasts und Kuchen wechseln von der Hand des Kellners in Windeseile auf unsere Tische und von dort weiter in unsere Mägen - die Ernährung ist einer der Schlüssel bei solchen Unterfangen und auch eine der größten Herausforderungen, wenn ich an mein Race Around Austria im Sommer denke.
Kein Mariazell-Besuch ohne Erlaufsee! Zum Zeitpunkt der Routenplanung habe ich einen kurzen Sprung in den Erlaufsee als Zwischenstopp eingeplant gehabt, die jetzigen Temparaturen machen darauf allerdings eher weniger Lust. Bleibt also die Ehrenrunde von Mariazell zum Erlaufsee, bevor wir uns Richtung Ötscher auf den zweiten Teil unserer Reise machen. Zwischen Bürger- und Gemeindealpe (diesen semantischen Kontrast hab ich schon immer gemocht) rollt man auf der Mariazeller Bundesstraße gen Norden, die nächsten Kilometer werden wir uns den Pfad mit der Mariazeller Bahn teilen. Diese Schmalspurbahn ist gleichzeitig eine Art Exit-Szenario, sollte man keine Lust mehr, einen Defekt oder Einbruch haben - auch auf Touren in weniger gut erschlossene Regionen ist es angenehm, einen Plan B zu haben. Den markanten Gipfel des Ötscher und damit die höchste Erhebung des Mostviertels bekommen wir nicht zu Gesicht, dunkle Wolken haben sich davor geschoben. Dennoch sind zahlreiche Wanderer unterwegs, die Ötschergräben sind ein beliebtes Wanderziel - auch wenn die selbst verliehene Bezeichnung “Grand Canyon Österreichs” vermutlich (und aus eigener Erfahrung) etwas zu hoch gegriffen ist.
Die wellige Strecke Josefsberg - Wienerbruck - Reith teilen wir uns mit zahllosen und sportlich bewegten Motorrädern, die wie wir in den Genuss einer gut ausgebauten und vor allem fein trassierten Straße kommen wollen. Die Kurvenradien verbunden mit leichten Überhöhungen in den Kurven oder zumindest den richtigen Neigungen machen mit dem Rad große Freude. Kurz vor Annaberg biegen wir zur Bergwertung des Tages ab - der Name könnte mit “Wastl am Wald” nicht schöner sein. Der Anstieg ist stetig und führt bis auf 1.110 Meter, eigentliches Highlight ist allerdings die Abfahrt nach Puchenstuben, die einen wunderbaren Flow erzeugt. Zurück auf der Bundesstraße befindet man sich im Pielachtal, auch wenn vorerst noch die Nebenflüsse Laubenbach und Nattersbach neben einem dahinplätschern. Leicht bergab geht es flott und mit dem zu Beginn erhofften Rückenwind hinaus aus den Voralpen. Ebenfalls “hinaus” will leider die Luft aus Jojos Schlauchreifen, der irgendwo bei Kilometer 190 dann seinen Dienst endgültig quittiert und das Quartett zu einem Trio macht. Nachdem der Tagesplan keine allzu großen Verzögerungen zulässt und der Abholdienst nach einem kurzen Telefonat schon auf dem Weg ist, lassen wir Jojo beruhigt zurück.
Nach Kirchberg an der Pielach sorgt Komoot indirekt für das erste Highlight. Von der Bundesstraße abgebogen geht es über Tradigist und Eschenau Richtung Traisen. Auch diese Verbindung bedient nur wenige Siedlungen und Ortschaften, dementsprechend können wir dort die Straße für uns genießen - ein langer und flacher Anstieg auf der einen Seite, eine flotte und kurvige Abfahrt auf der anderen. Im Traisental angekommen durchfahren wir auf der Bundesstraße Wilhelmsburg (oder wenn es nach dem Verkehr geht eher Williamsburg) und biegen dann doch lieber auf den Traisenradweg, der parallel dazu verläuft und um einiges entspannter er-radelt werden kann. 225 Kilometer stehen auf der Uhr, der Tag dauert schon recht lang aber es geht dahin. Sitzt man mehrere Stunden im Sattel, verliert man zunehmend das Gefühl für Zeit und Distanzen. Nicht, dass die Zeit schneller vergehen würde oder die Kilometer “von selbst” purzeln, vielmehr spult man das in einer Art Flow ab.
Achtet man nicht auf sich und seine Umgebung und gibt sich nur diesem Flow hin, vergisst man zwangsläufig irgendwann einmal zu essen und/oder zu trinken. Und ein halbvoller oder gar leerer Tank wiegt bei längeren Distanzen schwerer als auf der kurzen Feierabendrunde. Wenn ich den Tag in der Retrospektive betrachte, liegt das “Problem” eigentlich schon beim Wegfahren. Bis wir alle als Quartett vereint waren - und im engeren Sinne “startklar” - waren schon fast eine Stunde und 20 Kilometer vergangen. “Nur 20 Kilometer locker am Stadtrand” würde man sagen, aber natürlich isst und trinkt man auf diesen Kilometern des Einrollens nichts. Und dennoch kann das schon ein Beginn eines Defizits sein, das man über den ganzen Tag irgendwie nicht mehr losbekommen kann. Und Essenpausen in Restaurants oder bei Tankstellen bringen zwar Abwechslung in die Einheitskost aus Gels und Riegeln, der Schinken-Käse-Toast meldet sich allerdings spätestens 10 Minuten nachdem man wieder im Sattel sitzt wieder und protestiert dagegen, nicht ordentlich verdaut und zwischen Oberkörper und Oberschenkel eingeklemmt zu werden. Man sollte glauben, dass man solche Dinge mit der Zeit lernt, bei mir ist es jedoch irgendwie nicht der Fall. Für mein Race Around Austria muss ich mir daher einbläuen, laufend zu essen und zu trinken - abgesehen von einer etwas überlegteren Ernährungsstrategie. Und den Cappuccino werd ich wohl auch eher weglassen (oder auf Espresso umsteigen).
Südlich von Sankt Pölten ist man aus den Voralpen und den Bergen draussen - der Wind, den wir zu Beginn ins Gesicht geblasen bekamen, schiebt uns jetzt kräftig von hinten an. Mit müder und müder werdenden Beinen ist das nur gut und angenehm! Von Pyhra nach Böheimkirchen sind wir fast geflogen, die Jubelschreie waren aber nicht nur dem Rückenwind geschuldet sondern auch Komoot, dessen Algorithmus uns auf diesen Weg geführt hatte und den Beinen von Sebastian und Matthias, die wie Lokomotiven vorne weg marschierten.
Nach einer Eis-Pause in Böheimkirchen trat ein Phänomen auf, dass ich schon von anderen längeren Ausfahrten kannte und vor allem von meiner Fahrt nach Kärnten vor einigen Jahren. Fährt man nach der Arbeit noch eine Runde, dann sind 50 Kilometer viel, wenn man allerdings seit über 10 Stunden unterwegs ist und schon 250 Kilometer in den Beinen hat, dann sind 50 Kilometer eher “wir sind eh schon fast zuhause”. Und dieser Trugschluss ist gleichsam eine beliebte Falle, denkt man sich doch meistens, “ach, die 50 Kilometer fahren wir noch schnell fertig”. Dass dem nicht so ist, wenn man sich nicht um seine Tanks kümmert und trotzdem noch weiter isst und trinkt, dass lernt man auf die harte Tour. Bei meiner Fahrt nach Kärnten musste ich deshalb knapp 15 Kilometer vor meinem Ziel noch eine “richtige” Pause einlegen und mich um meine Ernährung kümmern. Am Rückweg aus Mariazell und einige wenige Kilometer von Wien entfernt, hatte ich glücklicherweise noch zwei Mitstreiter, die sich meiner annahmen. Die letzten 40 Kilometer hatten nur noch zwei kleine “Schupfer” aufzuwarten - einmal in Neulengbach, der andere bei Rekawinkel. Auch diese wenigen Höhenmeter waren für mich nur im Schneckentempo zu absolvieren, dazwischen konnte ich den Windschatten von Matthias und Sebastian genießen. Wäre ich alleine unterwegs gewesen, hätte ich hier wohl noch einmal eine längere Pause zum Auffüllen einlegen müssen - oder weniger Eis essen…
Pünktlich wie die Sonnenuhr und begleitet von einem wunderbaren Sonnenuntergang trennten sich unsere Wege an der Westeinfahrt von Wien nach 288 gemeinsamen Kilometern. Es ist entlang der Strecke nichts außergewöhnliches passiert - keine Regenbogen, keine Einhörner, keine Epiphanien (auch wenn man das bei Mariazell schon erwarten hätte können). Dennoch war es ein Tag, den man wohl als “episch” bezeichnen würde und es war ein Tag und ein Erlebnis, das man mit Freunden teilen konnte. Die gemeinsame Zeit auf der Straße, das Erleben des Wetters, der Umgebung, der Landschaft, der Temperatur, des Zustands der Mitfahrer, das Auf und Ab, die Gemeinschaft und das “Zusammen” sind wohl Dinge, die man nur auf diese einzige Art und Weise erfahren kann. Die Motorradfahrer sind zwar gemeinsam unterwegs, können aber nur punktuell miteinander kommunizieren und sind außerdem (viel) zu schnell unterwegs. Der Wanderer oder Pilger ist mir persönlich wiederum etwas zu langsam unterwegs, auch wenn er dabei vielleicht mehr Zeit hat, in sich zu gehen. Mit dem Auto fehlt der direkte Bezug zur Umgebung. Ohne das Auspowern und das Vorankommen durch den eigenen Körper fehlt eine wichtige Komponente, durch die man merkt, zu was der eigene Körper imstande ist. Gut, jetzt ist es doch noch etwas emotional geworden am Ende… Mariazell eben!
Route auf Komoot: https://www.komoot.de/tour/195544736
BMC Urs im Test
Nachdem ich im Sommer diesen Jahres philosophiert und endlich - für mich selbst und nach langem Überlegen - rausgefunden habe, was "Gravel" eigentlich bedeutet, welche Möglichkeiten damit verbunden sind und wohin die Reise gehen könnte, geht es nun um das Material an sich. Dass ich mit den Versuchen, meinen Crosser umzubauen gescheitert bin, lasse ich hinter mir. Vor mir liegen hingegen einige Ideen und Projekte, bei deren Realisierung ich mich gerne eines tatsächlichen Gravel-Bikes bedienen würde - wo nämlich weder Rennrad, Crosser noch MTB-Hardtail 100% hineinpassen. Die Rede ist von längeren Touren, Bikepacking und einem Vordringen in die Berge, ohne dabei größere Kompromisse eingehen zu müssen und gleichzeitig sowohl auf Asphalt als auch auf Schotter- und Waldwegen gleichsam gut vorwärts zu kommen.
Auf die Unterschiede zwischen den Radkategorien bin ich schon an anderer Stelle eingegangen, ebenso auf die Frage ob man unbedingt ein weiteres (spezifisches) Rad braucht (grundsätzlich Nein) oder ob man das nicht auch mit dem Crosser fahren könnte (grundsätzlich Ja). Belassen wir es dabei, dass Präferenzen und Vorlieben unterschiedlich sind, jede und jeder ohnehin für sich selbst entscheiden sollte, was sie oder er braucht und will. Am besten probiert man diese Dinge auch selbst aus, so wie ich das in Osttirol mit meinem Crossbike versucht habe und erst dort - im direkten Einsatz - draufgekommen bin, was ich "brauche" und welches Material dafür am besten geeignet ist.
Apropos selbst versuchen... Während meines Selbstversuchs im Sommer war das neue BMC Gravelbike gerade erst ein paar Wochen vorgestellt. Das Konzept war damals schon vielversprechend und ehrlicherweise hatte ich das Rad schon zu diesem Zeitpunkt ein bisschen in meinem Hinterkopf. Nun konnte ich „URS“ für einige Ausfahrten testen und dabei genau jene Punkte abklopfen, die ich auf meiner geistigen To-Do-Liste gespeichert hatte. Um das, was ich mir vorab zusammengesponnen hatte, zu verifizieren oder mich eines besseren belehren zu lassen.
URS
Urs ist zweifellos Schweizer, sein Name bezieht sich allerdings nicht auf den Bären (Ursus) sondern ist ein Buchstabenwort aus "Unrestricted" und damit der Verweis auf das "Anything goes" und die übergreifenden Disziplinen, die das Rad abdecken soll.
Was unterscheidet jetzt aber URS von den bisherigen - und von mir eher kritisch gesehenen - Gravelbikes, bei denen tendenziell nur breitere Reifen in einen bestehenden Rennradrahmen gehängt wurden?
Am wichtigsten ist wohl die spezielle Geometrie und diese spielt sich in erster Linie an der Front ab. Der Lenkwinkel ist sehr flach, um mehr Laufruhe und eine gute Basis im Gelände zu haben. Die dadurch entstehende Schwerfälligkeit in der Lenkung verhindert BMC durch einen kurzen Vorbau, der die entsprechende Reaktionsfähigkeit des Vorderrads sicherstellt. Im Großen und Ganzen kennt man das von modernen Mountainbike-Geometrien (nicht nur bei BMC), den eigentlichen Ursprung hat der Trend bei den Enduro-Bikes.
Der Rahmen ist eine Neu-Entwicklung und kein adaptierter Rennradrahmen. Die serienmäßig montierten 42mm WTB-Reifen belegen die enorme Reifenfreiheit. Wie auch einige andere Hersteller verbaut BMC ein Federungssystem am Hinterbau, um den Komfort im Sattel noch weiter zu erhöhen. Dabei kommt - wie auch schon bei den Teamelite MTB-Modellen von BMC - ein Elastomer-Element zum Einsatz, dass zwischen Sitzstreben und Sitzrohr unliebsame Schläge abfedern soll. Der Rahmen weist außerdem noch einige gravel- oder geländespezifische Merkmale auf, die das Leben einfacher und sicherer machen sollen: Protektoren für den Rahmen, zusätzliche Ösen und Schrauben für Taschen und Zubehör, eine Kabelführung in der Gabel für einen möglichen Nabendynamo und vieles mehr.
Je nach Ausstattungsvariante kommen noch weitere Goodies dazu: Carbon-Felgen fürs Gelände von DT-Swiss, offroad-spezifische Schaltgruppen, und und und. Ebenfalls abhängig von Modell und Ausstattung ist das Gewicht, das Topmodell fühlt sich mit seinen etwas über 8 Kilogramm beim ersten Mal Anheben erstaunlich leicht an, was natürlich auch der Performance während der Fahrt zugute kommt.
Die Varianten des URS
URS startet bei 2.999 Euro für das Modell "Four" und gipfelt mit 8.999 Euro bei URS "One".
Die Antriebe sind durchwegs als "1x" spezifiziert, je nach Gruppe bekommt man damit 11 oder 12 Gänge. Die Kompatibilität von Cross-, Rennrad und MTB-Gruppen ermöglicht es heutzutage ohne weiteres, einzelne Komponenten unterschiedlicher Gruppen zu kombinieren und dabei auch elektronische Schaltungen einzusetzen (beim URS One und Two). Bei der Übersetzung überrascht, dass nur das Topmodell eine größere Bandbreite bietet, 38x50 ermöglicht auch in steileren Gefilden noch eher ein Fortkommen als 40x42. Die Farben sind grundsätzlich Geschmackssache, gefallen - mir persönlich - aber in ihrer Schlichtheit sehr gut. Die Kontrastfarben an den Gabelholmen sorgen für etwas Abwechslung. Neben Rahmen und Gabel teilen sich auch alle Modelle die gleichen Reifen von WTB mit einer Breite von 42mm.
Meine Eindrücke - URS in Aktion!
Schon nach wenigen Metern merkt man, dass man sich nicht auf einem "verkleideten" Rennrad befindet. Nahe am Crosser aber dennoch anders in der Geometrie, der Straßenlage, Laufruhe und Charakteristik. Auch wenn man vermeintlich nicht geglaubt hat, dass zwischen Rennrad und Crosser noch Platz ist, der URS füllt hier definitiv eine Lücke. Und dass es sich dabei um keine rein marketing-kreierte Lücke handelt merkt man, wenn man mit URS ins Gelände abbiegt. Zugegebenermaßen sind es Feinheiten, aber je länger man im Sattel sitzt und je vielseitiger die Einsatzbereiche sind, umso mehr fallen diese Kleinigkeiten ins Gewicht.
Der Rahmen ist sehr steif und gibt gutes Feedback. Alleine schon der Blick auf den massiven Tretlagerbereich gibt Auskunft über Stabilität und Steifigkeit bei kurzen Antritten als auch bei längerem Krafteinsatz. Verwindungen sind vom Rahmen her keine zu spüren, die Direktheit endet hier (naturgemäß) eher bei den breiten Reifen.
Die Geometrie ist speziell - wie oben schon erwähnt, wird durch den flachen Lenkwinkel der Vorbau kürzer, dadurch wiederum das Oberrohr länger. Wer mit der Anschaffung eines URS liebäugelt, sollte daher aus meiner Sicht vorher den Händler aufsuchen und dort gemeinsam die Maße besprechen. Blindlings die gleiche Größe wie bei anderen Rädern zu nehmen, kann unter Umständen problematisch werden. Mit meinen 1,94 m Körpergröße und einem langen Oberkörper stellt die Wahl der richtigen Größe bei mir grundsätzlich und fast immer eine Herausforderung dar - ich sitze meistens zwischen den beiden Stühlen "Large" und "X-Large". Die Geschichte mit dem flachen Lenkwinkel kenne ich schon von meinem MTB, daher weiß ich halbwegs, wie ich die veränderten Werte in der Geometrie zu interpretieren habe und was diese für die Position auf dem Rad bedeuten. Das "XL" wäre mir in der Praxis oben etwas zu lang und damit würde ich gefühlt einiges an Wendigkeit verlieren, das "L" ist mir oben fast schon etwas zu kurz, dafür fühlt es sich wendig und agil an. (Zum Glück hat PBike einen schlauen Computer mit meinen Körperdaten, um mir bei der Größenwahl zu helfen!)
Um noch kurz beim Rahmen zu bleiben, dieser hat im Tretlagerbereich viel Bodenfreiheit und bietet damit entsprechend viel Spielraum, um über Dinge drüberzufahren oder sich zumindest nicht das Kettenblatt an Mauern, Steinen oder Wurzeln zu beleidigen.
Die Flaschenhalter im Rahmendreieck sind tief positioniert, damit entsteht viel Raum, der zum Beispiel für eine Rahmentasche genützt werden kann. Und - speaking of Bikepacking - URS macht natürlich auch eine hervorragende Figur im Adventure Modus, wenn man außerdem noch Sattel- und Lenkertasche dazumontiert. Zwei Gewinde im vorderen Bereich des Oberrohrs erlauben außerdem noch, dort eine kleine Zusatztasche mitzuführen. So kann der Mehrtagestrip kommen!
Damit eine Lenkertasche oder -Rolle zwischen den Drops Platz hat, werden von BMC Lenker mit "Flare" verbaut, bei denen also die Lenkerenden nach außen gebogen sind. Weiterer Benefit dieser Lösung ist eine bessere Kontrolle über das Rad in schnellen Offroad-Passagen. Lenker mit Flare sind allerdings auch Geschmackssache, so bin ich beispielsweise kein Fan davon und würde bei meinem URS einen konventionellen Lenker draufschrauben. Mich irritiert die Griffposition eher, als dass ich einen wirklichen Nutzen erkennen könnte. Außerdem bin ich bestimmte Griffpositionen vom Rennrad gewöhnt, die ich so auch auf einem URS beibehalten wollte. Und letztlich sind in Unterlenkerposition auch die Schalthebel nicht mehr so gut erreichbar, da diese ebenfalls entsprechend nach außen geneigt sind.
Ansonsten gibt es allerdings am Cockpit absolut nichts auszusetzen: volle Integration aller Leitungen und Kabel, ein aufgeräumtes Erscheinungsbild und die schöne Halterung für Wahoos, Gopros, Garmins und sonstiges Zubehör, die bei integrierten BMC-Vorbauten ohnehin immer dabei ist.
Auf den ersten Blick fällt natürlich das Federelement im Hinterbau auf. BMC hat schon einiges an Erfahrung mit dieser Technologie bei seinen Mountainbikes gesammelt. Es gibt keine offiziellen Angaben über den Federweg oder dergleichen, in der Praxis sieht man das Element jedoch in Bewegung und ein paar Millimeter weit wird da jedenfalls gearbeitet. Die tatsächlichen Federeigenschaften zu beurteilen ist aus meiner Sicht nicht wirklich möglich, da ein weitaus größerer Anteil des Komforts im Sattel aus der ewig langen Sattelstütze und den breiten Reifen kommt, wobei man bei letzteren ja zusätzlich auch noch kräftig am Luftdruck schrauben kann. Insgesamt federt der Hinterbau Schläge und Unebenheiten sehr gut ab, auch Roubaix-artige Kopfsteinpflaster-Passagen fühlen sich so etwas weniger schlimm an. Die Tatsache, dass dem Elastomer im Hinterbau keine Dämpfung gegenübersteht, bedeutet, dass es mitunter zu einem minimalen "Hoppeln" kommen kann, vor allem wenn man in einem leichten Gang unterwegs ist und recht dynamisch mit dem Körper mitarbeitet. Verdirbt nicht den Spaß und kommt auch nur in besonderen Konstellationen vor, Abhilfe kann ein anderes Elastomer-Element schaffen, diese sind nämlich in drei unterschiedlichen Härtegraden erhältlich.
Die WTB-Reifen weisen eine Breite von 42 Millimetern auf, während Crosser traditionell (und regelbedingt) meistens "nur" auf 33ern anrollen. Ich persönlich hätte nicht für möglich gehalten, welchen Unterschied diese zusätzlichen 9 Millimeter ausmachen, sowohl was Komfort als auch Grip angeht. Man kann den Luftdruck noch einmal etwas senken, hat damit in geradezu allen möglichen und unmöglichen Situationen ausreichend Haftung und kann auf diese Weise durch Sandfelder, über groben Schotter und alles andere pflügen, was sich einem in den Weg stellt. Aber auch der Speed auf Asphalt war für diese Reifenbreite eine positive Überraschung und bestärkt mich darin, das Rad als Allzweckgerät für alle Untergründe zu sehen.
Einige Gravelbikes am Markt bieten die Möglichkeit, 650B-Laufräder zu montieren, um die Vielseitigkeit noch weiter zu erhöhen. Beim URS ist das nicht der Fall, allerdings sehe ich dafür eigentlich auch keinen wirklichen Grund. Auf etwas Unverständnis stößt bei mir, dass BMC zum einen das Schraubenmaß der Steckachsen von 5mm auf 6mm (Inbus) erhöht hat und gleichzeitig keinen Adapter bzw. Hebel zum Lösen der Schraube mehr beilegt. Für den Reifenwechsel während einer meiner Testfahrten war daher die Einkehr in ein Lagerhaus notwendig, um den entsprechenden Inbus auszuborgen, mein Multitool endet - wie viele andere übrigens auch! - bei einem 5er-Inbus. Bei der Gelegenheit - und hier bin ich tatsächlich zu 100% selbst schuld - möchte ich auch noch erwähnen, dass man auch die entsprechenden Schläuche für 42mm-Reifen mitführen sollte. Die Rückfahrt auf einem 28mm-Schlauch war wenig erbaulich...
Die Schaltung an dem von mir getesteten Topmodell (SRAM XX Eagle AXS Schaltwerk hinten und Red ETAP AXS Schalthebel vorne) funktioniert im Gravel-Einsatz hervorragend. Die Schalthebel von SRAM bieten - im Gegensatz zu Shimano - eine weitaus größere Fläche, sodass man auch mit Handschuhen oder "in der Hitze des Gefechts" einfacher schalten kann. Die zur Verfügung stehenden zwölf Gänge bieten eine große Übersetzungsbandbreite, vor allem das 50er-Ritzel hinten dient entweder als Rettungsring oder als Ermöglicher hoch hinausführender Abenteuer. Wie bei allen 1x-Antrieben sind die Gangsprünge teilweise merklich groß, sodass man ab und zu in die Situation kommt, dass weder der höhere noch der niedrigere Gang so richtig passt. Wer hochalpine Ausflüge oder Reisen mit viel Gepäck im Sinn hat, kann vorne auf ein kleineres Kettenblatt wechseln, damit erhöht sich die Kletterfähigkeit weiter. Schade finde ich, dass nur das Topmodell ab Werk eine größere Übersetzung mitbringt, die höhere Flexibilität würde sicher auch den anderen Modellen zugute kommen.
Als Abschluss sei noch erwähnt, dass URS ein richtiger Eyecatcher ist! Das ist einerseits seiner speziellen Form geschuldet - jeder der genauer hinsieht und vielleicht das Federelement erspäht, erkennt das Spezielle und Ungewohnte an diesem Rad. Ein anderer Faktor ist, dass auf dem gesamten Rad nur ein einziger, zwei Zentimeter großer BMC-Schriftzug angebracht ist, nämlich vorne am Steuerrohr. Keine Logos, keine Schriftzüge und Sticker erzeugen Neugier und Interesse, außerdem bekommt das Rad dadurch ein elegantes und schlichtes Auftreten. Lob an BMC auch für das Selbstvertrauen, nicht das komplette Rad mit Aufschriften zuzukleistern.
Fazit!
In meinen Augen und nach einigen Ausfahrten auf unterschiedlichem Terrain hat BMC hier tatsächlich etwas Neues geschaffen. URS füllt eine Lücke, die man in der Regel zwar erst finden muss, die in meinem persönlichen Radleben allerdings prominent aufklafft und bis jetzt weder durch Crosser, Rennrad oder Hardtail gefüllt werden konnte.
Auf losem und groben Schotter, auf Waldwegen und Fortstraßen spielt URS seine Stärken aus. Viel Grip kommt von den Reifen, der Komfort aus Federung und Sattelstütze verschont den Fahrer und die Fahrerin und die Geometrie lädt tatsächlich zum Spielen ein - diese Böschung hinauf, hier in den Graben hinunter, warum nicht da drüber... Spaß und Radfahren sind in meinen Augen untrennbar verbunden, mit diesem Rad erweitert man die potentiellen Freundenquellen.
Bei größeren Steinen, Wurzeln und Felsen merkt man die Grenzen des Rades, die Wege bleiben natürlich fahrbar aber man ist langsamer unterwegs als mit einem MTB, muss sich gut um die Linienwahl kümmern und die Muskulatur ermüdet schneller. Auf der Straße hingegen - und mit anderen Reifen sowieso - kann URS auch für einen flotte Rennradrunde herhalten.
Foto: Nora Freitag
Was also fahren mit dem URS? Am besten alles, gleichzeitg und abwechselnd, in einem Urlaub, wo man gerne ein Rad für alles mithaben möchte, auf der Langstrecke, mit Gepäck und Satteltaschen, auf dem Weg zum Nachtlager der Dreitages-Tour, auf Forststraßen und Waldwegen, in den Bergen, wo sanfte Schotterwege dominieren, beim Crossrennen, bei der Gruppenausfahrt am Wochenende auf der Straße. "Unrestricted" hat natürlich auch seine Grenzen aber URS lotet sie auf sympathische Weise aus.
Der Preis für URS ist ein beträchtlicher, 3.000 Euro für ein Rad sind viel Geld. Wer schon fünf Räder in seiner Wohnnug stehen hat, wird sich eventuell schwer tun, noch die richtige Nische zu finden. Wer allerdings nach einem Rad sucht, mit dem man im wesentlichen alles machen kann - und zwar alles konkurrenzfähig - der sollte sich URS näher ansehen. Mir haben die Tage mit URS (außer einem kaputten Schlauch) viel Freude bereitet und ich weiß jetzt, mit welchem Rad ich einige meiner Projekte 2020 in Angriff nehmen möchte ;)
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Wachauer Radtage 2019
Traditionen wollen hochgehalten werden! Zum Beispiel die Tradition, dass ich bei der Österreich Rundfahrt mit der Kamera dabei sein kann, dass man Mitte Juli bei den Wachauer Radtagen am Start steht oder auch dass man sein Leistungslevel über- und die Strecke unterschätzt… Nach einer guten mittleren Distanz 2018 – in der Nomenklatur der Radtage nennt sich das „Raiffeisen Power Radmarathon“ – fiel die Wahl 2019 auf die lange Distanz, den „Krone Champions Radmarathon“. Ehrlicherweise hab ich mich im Vorfeld nicht wirklich mit der Strecke und den dahinterliegenden Daten befasst - 150 irgendwas Kilometer und die üblichen Höhenmeter. Ich habe mir angewöhnt, im Hinterkopf immer den Faktor 10 auf die Kilometerzahl draufzulegen, um auf die Höhenmeter zu kommen – solange dieses Verhältnis halbwegs eingehalten wird, ist es schaffbar. Auf den Jauerling war ich bis zu dem Zeitpunkt auch noch nicht unterwegs, aber ein höchster Punkt von knapp 800 Meter über Null wird wohl kein allzu großes Hindernis darstellen, oder?
Die Woche vor den Wachauer Radtagen ist für mich die Woche der Österreich Rundfahrt. In diesem Jahr war ich dort mit Kamera und Telefon bewaffnet unterwegs, um Schnappschüsse zu machen und die Social Media-Kanäle der Rundfahrt zu befüllen. Die zweite Etappe von Zwettl nach Wiener Neustadt führte übrigens durch die Wachau, den Seiberer hinunter, die Donau entlang über die Brücke bei Mautern und dann weiter Richtung Stift Göttweig. Während dieser Etappe war ich im Auto vom Team Hrinkow unterwegs und gemeinsam stellten wir fest, dass speziell die Abfahrt vom Seiberer ein Traum ist, dass man sich das wohl außerhalb der Tour mal in Ruhe anschauen sollte. Dass ich hier ein paar Tage später rauffahren muss, war mir zu dem Zeitpunkt nicht klar - Vorbereitung 1A… Die Ö-Tour endet am Freitag auf dem Kitzbüheler Horn, ich verbringe noch eine Nacht bei der Familie in Lienz und bin Samstag spätabends wieder in Wien. Essen herrichten, Gewand herrichten, Rad checken, sporadisch die Beine rasieren – ich möchte zumindest stilvoll langsam fahren ;)
Los gehts!
Sonntag, 7:30 in Mautern und alle sind da. Schon auf den ersten Metern freut man sich, bekannte Gesichter zu treffen. Meine Nachbarn sind da, Vereinskollegen vom PBIKE.AT Racing Team, viele VICC-Trikots. Max Kuen vom Team Vorarlberg Santic, der leider krankheitsbedingt kurzfristig die Teilnahme an der Österreich Rundfahrt hatte absagen müssen, fährt wieder mit seiner Freundin - außerdem einige Gesichter, die mit mir die letzte Woche bei der Ö-Tour verbracht haben, allen voran Martin Böckle, der mit Alpentour-TV mittlerweile dafür sorgt, dass fast jeder Marathon seine (Live-)Übertragung und damit entsprechende Präsenz bekommt. Die Startunterlagen sind schnell geholt, Nummern montiert und Trinkflaschen gefüllt. Ich bin früher dran als in den Vorjahren, erkennbar daran, dass ich diesmal einen Platz innerhalb des Startblocks finde und nicht außerhalb auf den Planken, die hinauf zur Straße führen. Der Blick nach vorne zeigt auch, dass das Starterfeld auf der langen Distanz vergleichsweise kompakt ist – die meisten Starter sind auf den beiden kürzeren Distanzen zu finden. Die Laune ist gut, die Stimmung fast familiär, man kennt sich mittlerweile untereinander doch schon recht gut – so macht das Ganze gleich noch mehr Spaß. Und letztendlich spielt auch das Wetter mit, die vorhergesagten Regenschauer sind erst für den späteren Nachmittag angesagt.
Am Start noch ein Lächeln übrig … ;)
Bei Sonnenschein fällt also um 9:00 der Startschuss, die beiden längeren Strecken starten gemeinsam - vorne weg der Champions Marathon über 159 Kilometer, gleich dahinter der Power Marathon über 92 Kilometer. Von der angekündigten Neutralisierung auf den ersten Kilometern ist weiter hinten im Feld nicht viel zu spüren. Ehrlicherweise ist es bei Radmarathons mit vielen Starten aber auch immer ein Balanceakt – „zu schnell“ macht die Neutralisation obsolet, „zu langsam“ erzeugt Staus und brenzlige Situationen weiter hinten. Die ersten elf Kilometer führt die Strecke entlang des nördlichen Donauufers Richtung Weißenkirchen, erst an dieser Stelle erfolgt die Feld-Teilung zwischen langer und mittlerer Strecke. Die Straße ist zwar in unserer Fahrtrichtung für den Verkehr gesperrt, vereinzelt tauchen aber auf der Gegenfahrbahn Autos auf. Diese weichen zwar – höflich bis leicht verängstigt – der Radlermeute an den Straßenrand aus, aufgrund der Masse an Radlern wird es allerdings trotzdem stellenweise recht eng. Die Spitze der mittleren Distanz möchte zur Spitze der langen Distanz, die zuvor gestartet ist, nach vor wollen sowieso alle, es vermischen sich schnellere mit langsameren Fahrer*innen, das wird dann mitunter schon recht viel auf einmal. Im Grunde ist es ähnlich wie bei allen Startphasen von Marathons, bei denen die Starter*innenzahlen in die höheren Hunderterbereiche gehen. Übermotivierte wird man immer finden, weniger talentierte womöglich auch, oft ist es aber einfach Pech, wenn etwas passiert. Die Kalamitäten in der Wachau halten sich absolut in Grenzen, es sind eher abrupte Bremsmanöver der Gruppe, die den Puls in die Höhe schnellen lassen. Auf Nachfrage erfährt man vom Veranstalter, dass eine Genehmigung des Rennens nur unter der Voraussetzung erfolgen kann, dass die betreffende Bundesstraße 3 für den Verkehr offen bleibt. Dass praktisch eh kein einziges Auto ungehindert durch- oder vorbeifahren kann, macht diese Behördenvorgabe zu einem Feigenblatt, erhöht aber massiv mein Verständnis gegenüber dem Veranstalter, der hier schlicht und ergreifend nicht aus kann.
Ins Waldviertel
In Weißenkirchen ist das alles kein Thema mehr, die lange Strecke biegt nach Norden ab, lässt die Donau hinter sich, taucht in malerische Weinberge ein und Fahrer nach Fahrer beginnt den Anstieg auf den Seiberer. Schlagartig geht es gemütlicher zu, das Tempo ist unten, der verfügbare Platz um Potenzen gesteigert. Die Sonne brennt vom Himmel und der Schweiß tropft auf Oberrohr und Asphalt – schon nach wenigen Kilometern habe ich ein Deja-Vu meines mäßig erfolgreichen Anstiegs zum Plöckenpass im Rahmen des Super Giro Dolomiti. Ganz so schlimm ist es glücklicherweise nicht, aber bei einer Steigung von 7% auf einer Länge von fünf Kilometern kann man schon einen ersten zarten Eindruck davon bekommen, wie der weitere Tag verlaufen könnte. Meine Oberschenkel gehen auf, ich spüre die vergangene Woche im Auto und ohne Bewegung, die Erkenntnis, dass dies wohl ein längerer Tag werden wird, setzt sich nach und nach in meinem Kopf fest. Da ich sowieso nicht auf irgendein Ergebnis fahre, stellt diese Erkenntnis kein Problem dar, ich lasse meine PBIKE-Kollegen ziehen und trete vor mich hin Richtung Waldviertel.
Es folgt ein knapp 50 Kilometer langes Auf und Ab durch das Waldviertel, es ist selten flach, die Anstiege sind tendenziell immer etwas zu steil, um halbwegs souverän „drüberdrücken“ zu können. Gefühlt kommt nach jedem Anstieg eine viel zu kurze Abfahrt bevor es gleich wieder in den nächsten Hügel hineingeht. Bergauf, bergauf, bergauf! Das Feld ist recht zerfetzt, es finden sich immer wieder Gruppen aus maximal 3-6 Fahrer*innen, die ein Stück des Weges gemeinsam bestreiten. Hier sollte man – neben guten Oberschenkeln – auch im Kopf halbwegs fit sein. Bzw. wie in meinem Fall, wenn man in den Oberschenkeln nicht fit ist, kann man sich mit einem fitten Kopf noch mit etwas Würde über die Anstiege retten. Es ist jener Teil der Strecke, den ich mir im Vorfeld überhaupt nicht angeschaut und daher am meisten unterschätzt habe und nun dafür entsprechend büßen muss. Es kommt etwas Wind dazu, Wolken haben sich mittlerweile vor die Sonne geschoben, dafür sind die Temperaturen angenehm frisch.
Kilometer 80 markiert die Hälfte der Strecke, das Ende des hügeligen Waldviertels, den Fuße des Jauerling und – glücklicherweise – auch jene Stelle an der Nachbar Gerald mit frischem Proviant auf seine Freundin und Vereinskollegin Patrizia wartet und dankenswerterweise auch für mich ein Musette mit frischen Flaschen und Gels bereithält. Ich nütze diese Gelegenheit für eine kurze Pause, einen Plausch über das bisher Erlebte, und dafür, den recht zwickenden Rücken etwas durchzustrecken. Die Hälfte eines Rennens oder einer Strecke ist für mich grundsätzlich immer etwas Besonderes, fährt man ab diesem Zeitpunkt ja „nur noch zurück“ oder „ab jetzt nach Hause“.
“J-aua!-ling”
Es geht also auf den Jauerling, jene Unbekannte für mich, von der ich zwar schon viel gehört habe, selbst aber noch nie einen Tritt des Anstiegs gefahren bin. Die Zahlen verheißen nichts Gutes, auf dem Display meines Wahoo baut sich im Höhenprofil eine Wand auf, die so schnell wohl nicht mehr enden wird. Später lese ich auf Strava 9% auf sieben Kilometern Strecke, die ersten vier Kilometer haben überhaupt eine Steigung von durchschnittlich zehn Prozent. Ab in den ersten Gang und hinaufkurbeln, aber nach dem Auf und Ab des Waldviertels und den doch schon 80 Kilometern in den Beinen, fällt auch das nicht mehr so einfach. In solchen Fällen schalte ich in meinen Not-Modus, blende fast alles rund um mich aus, konzentriere mich auf jeden einzelnen Tritt, leide innerlich, was gleichbedeutend ist mit „man muss da jetzt durchkämpfen, um diesen Anstieg oder Berg zu bezwingen“ – diesen Kampf, den ich mir da einrede, gewinne ich meistens, das Konzept geht also auf! ;) Ich treffe auf bekannte Gesichter – Patrizia zieht an mir vorbei (sie wird am Ende des Rennens den 8. Platz der Damen belegen!), Jean und Vejko rollen von hinten auf mich auf, mit vertrauten Gesichtern und Stimmen ist es auch gleich wieder etwas anderes. Der Jauerling ist ein harter Gegner – da wo der Anstieg vermeintlich zu Ende ist, durchfährt man eine kleine Ansiedelung, die gleich in den nächsten Anstieg mündet, fährt um eine Kurve, die wieder eine weitere Rampe verborgen hat. Und auch dort, wo der Berg tatsächlich einmal ein Ende genommen hat, ist die Freude der Abfahrt nur kurz – der Anstieg nach Nonnersdorf zieht auf 140 Höhenmetern noch einmal heraus, was in den Oberschenkeln eventuell noch vorhanden war.
Nach der Labe bei Kilometer 100 bin ich plötzlich alleine. Es geht endlich leicht bergab Richtung „Am Schuss“, einem Ortsnamen, der sich bei mir schon in den letzten Jahren der Wachauer Radtage eingeprägt hat. Die Strecke ist hier bis zur Donau hinunter identisch mit den Vorjahren, endlich etwas kalkulierbares auf dieser Strecke! Ich rolle mit knapp 35 Km/h Richtung Donau, schaue mich immer wieder nach Fahrer*innen um, die von hinten auf mich auffahren könnten – alleine möchte ich dieses Rennen nicht zu Ende fahren. Kurz vor Schloss Leiben sind wir dann zu fünft – mit dabei Alejo im VICC-Trikot, wie schon zuvor hilft es mir, auf bekannte Gesichter zu treffen. In der Gruppe geht es gleich einfacher und entsprechend flott nach Emmersdorf zur Donaubrücke. 40 Kilometer sind noch ausständig, zwei Anstiege kommen noch – nicht vergleichbar mit dem Jauerling aber in meinem aktuellen Zustand und mit doch recht schweren Beinen werden auch diese noch zur Herausforderung. Dementsprechend lasse ich mein Gruppe ziehen, sobald die Straße auch nur geringfügig ansteigt – hier jetzt mitzufahren, wäre keine gute Idee. Der Hügel bei Mauer bei Melk bzw. Umbach ist schnell bewältigt, es folgt noch eine Abfahrt Richtung Aggsbach, bevor es zum letzten Anstieg nach Maria Langegg geht. Die Abfahrt verbringe ich großteils im Stehen, mein Rücken wehrt sich dagegen, auf dem Rad weiter eingespannt zu sein – Autofahren als Vorbereitung für ein Radrennen scheint nicht optimal zu sein… Ich treffe wieder auf Jean, gefühlt zum fünften oder sechsten Mal – lustig, wie man im Verlauf eines Rennens mit Pausen, Laben und anderen Zwischenhalten immer wieder zusammenkommt, getrennt wird und sich dann wieder trifft. Hinauf nach Maria Langegg geht es auf drei Kilometern mit 8 % Steigung – langsam und gemächlich, die Tanks sind leer, die Ambitionen beschränken sich darauf, das Ziel erreichen zu wollen. Oben eine Labe, dann noch ein paar kleinere Wellen – die hab ich noch vom Vorjahr in Erinnerung.
Nass und fertig
Unvermittelt formen sich neben meinem Rad auf dem Asphalt handtellergroße Flecken – platsch, zuerst einer, dann mehrere. Es ist dieser Moment, in dem man weiß, was hier gleich losbrechen wird - Blitz und Donner und prasselnder Regen. Ich werfe mir mein Gilet über, stehenbleiben oder gar warten ist keine Option so kurz vor dem Ziel. Es ist 15 Uhr, jener Zeitpunkt, für den der Regen vorhergesagt war – nur wollte ich zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon im Ziel sein. Die Abfahrt zurück zur Donau wird im Schneckentempo bestritten, es wäre dumm und unnötig, jetzt auf regennasser Fahrbahn noch einen Sturz zu provozieren. Die Abzweigung auf die B33 ist für mich so etwas wie meine persönliche Ziellinie – vorbei mit Bergen, Abfahrt, Anstiegen, Kurven. Ab diesem Zeitpunkt geht es nur noch flach auf einer Länge von knapp fünf Kilometern Richtung Ziellinie.
Jean hängt sich an einen überholenden Fahrer an, mir fehlt die Kraft, diesen kurzen Antritt mitzugehen. Weniger später ist mein Rennen aber auch offiziell beendet – ich rolle zufrieden aber sehr, sehr erschöpft über die Ziellinie, hinein in den Zielbereich, der leider vom durchziehenden Regenschauer fast komplett leergeräumt wurde. Schnitzelsemmel, Kuchen und anerkennende Ansprache im Ziel hilft mir, wieder zu Kräften zu kommen. 2.901 Höhenmeter auf meinem Wahoo belegen, dass es heute keine Kaffeefahrt war. Nass und kalt geht es zurück zum Auto, hinein in die trockene Trainingshose und ab nach Hause, next Stop: Badewanne!
Der Erkenntnisgewinn dieses Renntages ist massiv: Bestätigt fühle ich mich in meiner Meinung von den Wachauer Radtagen – die Veranstaltung ist hervorragend organisiert. Als Fahrer, der dann doch eher weiter hinten im Gesamtfeld unterwegs war, kam ich in den Genuss, bei JEDER Kreuzung oder Kreisverkehr Ordner oder Polizisten vorzufinden, die einem den Weg weisen und den Verkehr kurz aufhalten, damit man ungehindert passieren kann. Ebenfalls bestätigt wurde die landschaftliche Schönheit der Wachau und des südlichen Waldviertels, wobei das Hinterland auf mich hier einen größeren Reiz ausübt, als die „klassische“ Wachau direkt an der Donau. Wobei wenn man den Seiberer herunterkommt und zum ersten Mal das Panorama der Donau erblickt, wird man schon kurz andächtig.
Wundenlecken
Die andere Erkenntnis betrifft mich und meine Leistungen. In den letzten Jahren habe ich viele Dinge „einfach gemacht“ und dabei hat fast alles immer so funktioniert, wie ich mir das vorgestellt habe. Dieses Jahr – und der „Jungvater“ soll hier jedenfalls nicht als Ausrede dienen! – muss ich mit meine Kräften und meinen Ressourcen haushalten. Bis in die letzten Ecken meines Kopfes hat sich das aber noch nicht durchgesetzt, mit dem Ergebnis, dass ich momentan dazu neige, meine Leistungsfähigkeit zu über- und gleichzeitig die sportlichen Herausforderungen zu unterschätzen. 160 Kilometer am Rad sind 2019 einfach etwas anderes für mich als 2018 oder gar 2017. Das mindert natürlich weder meinen Spaß am Radfahren noch an meinen Plänen oder Projekten, aber spätestens jetzt habe ich verstanden, dass ich die Dinge vielleicht etwas anders angehen muss. Eine Entscheidung ist allerdings vor diesem Hintergrund schon gefallen: Meine Teilnahme an der Race Around Austria Challenge werde ich vorerst einmal auf 2020 verschieben.
Aus der Wachau komme ich mit positiven Eindrücken zurück. Und die Schmerzen in Rücken, Knien und Oberschenkeln sind nach einem ausgiebigen Vollbad schon fast wieder vergessen, das Fluchen und innerliche Weinen der mühsamen Kilometer verdrängt und das Anmeldeformular für das nächste Jahr quasi schon wieder ausgefüllt. Danke Wachauer Radtage, bis nächstes Jahr!
Disclaimer
Die Teilnahme am Rennen erfolgte auf Einladung des Veranstalters. Alle Fotos: Sportograf.
Giro Aether MIPS im Dauertest
Einen Bericht über einen Helm zu schreiben, beinhaltet eine grundlegende Schwierigkeit: man kann den vordergründigen Zweck des Helms nicht testen - und soll und will das auch nicht! Es ist also eine Art Versicherung, um die es hier geht - der Mitgliedsbeitrag ist überschaubar, das Risiko eher unkalkulierbar, der Ernstfall tritt hoffentlich nicht ein. Wassermelonen oder ähnliches in einen Helm zu stecken und diese Kombination dann aus unterschiedlichen Höhen auf einen harten Untergrund fallen zu lassen, mag jene beglücken, die sich anhand von Normen, Schulnoten und Vergleichswerten in Sicherheit wiegen wollen. In diesem Test passiert so etwas allerdings nicht, und dies hat drei Gründe:
Ich möchte nicht eine Reihe von Helmen auf den Boden werfen und zerschellen lassen (und möchte mir das auch nicht leisten…)
Schulnoten oder andere Laborbewertung können maximal ein subjektives Sicherheitsgefühl suggerieren, allerdings keine tatsächliche Aussage über irgendeine Sicherheit oder den Ausgang eines Unfalls geben.
Nicht zuletzt - und das ist eigentlich der wichtige und damit springende Punkt - möchte ich mich auf die „positiven“ Seiten konzentrieren. Alle Helme - vor allem jene der renommierteren Hersteller - durchlaufen zahlreiche Test, Zertifizierungen und Prüfverfahren. Ich vertraue hier also einfach und gehe davon aus, dass alle Helme im sportlichen und gehobenen Preissegment eine gewisse Grundsicherheit gewährleisten. Ob das Schulnote 2,3 oder 1,9 ist, kann aus meiner Sicht vernachlässigt werden.
Die positiven Seiten des Helms an sich…
Eines vorweg - auch wenn es in meinen Augen nicht mehr notwendig sein sollte, das laut auszusprechen: Sportliches Radfahren ohne Helm geht gar nicht! Punkt. Keine Helmdiskussionen wie beim Radeln in der Stadt, keine Argumentationsketten mit „Wahrnehmung der Autofahrer“ oder „Vermittlung eines falschen Sicherheitsgefühls“ oder Ähnliches. Wer am Rennrad unterwegs ist, sollte - auch in völliger Abwesenheit von Autos oder anderen Verkehrsteilnehmern - einen Helm auf seinem Kopf tragen.
Machen wir also das Beste daraus! Der Helm ist auch Sonnen- und Witterungsschutz, Statement, Farbklecks, Werbefläche, was auch immer man will. Für mich persönlich ist der Helm ein wichtiges Accessoire. Das mag dumm oder abgehoben klingen, bei mir ist es allerdings passiert, dass sich mehrere Helme angesammelt haben - alle mit einem eigenen Zweck, einer eigenen Charakteristik und einer eigenen Geschichte.
Mein weißer POC Octal wird für immer einer meiner Favoriten bleiben - zu sehr mag ich es, wie ein Pilz aus Super Mario Brothers auszusehen. Nachdem ich mich beim Urlaub in Lienz allerdings einmal etwas zu wenig geduckt und mir am Garagentor eine dicke Kerbe in den Helm geschlagen habe, fristet er nur noch ein Dasein als stiller Zuschauer und befindet sich nicht mehr im aktiven Einsatz. Es ist immer eine Grauzone, wie lange oder nach welchen Ereignissen man einen Helm noch weiter verwenden soll, kann oder darf - ich bin hier eher auf der vorsichtigen Seite zuhause und lasse ihn lieber hängen. (Ihn wegzuschmeissen, habe ich allerdings noch nicht übers Herz gebracht). Dann gibt es noch einen Kask Protone in mattschwarz, der gut belüftet und damit gut für den Sommer oder die Bahn geeignet ist. Auch dieser hat eine kleine Abschürfung erlitten, als ich mich einmal langsam (aber dann offenbar doch schnell genug) auf die Seite gelegt habe. Und schließlich ist da noch der Met Manta mit seinen wenigen und kleinen Belüftungsschlitzen, den ich mir in leichter Panik noch kurz vor dem King of the Lake 2017 zugelegt habe, damit ich dort zumindest ein klitzekleines Stück weit aerodynamischer unterwegs bin.
Vor wenigen Monaten ist dann noch einmal Zuwachs ins Haus gekommen. Helme von Giro sind ja auf dem Markt schon lange präsent - sehr präsent, um genau zu sein. Wer sich ab und zu ein Radrennen im Fernsehen ansieht, wird um den Anblick des markanten Giro Synthe nicht herumgekommen sein. Der Nachfolger mit dem Namen „Aether“ ist seit letztem Herbst auf dem Markt und tritt in diese großen Fußstapfen. Im Profipeloton teilt sich der Aether die Einsätze mit dem Vanquish, je nachdem ob die Fahrer*innen Belüftung oder Aerodynamik vorziehen.
Style
Der wesentliche Stil des Synthe findet sich auch im Aether wieder. Die markanten Längsstreben ziehen sich von der Stirn bis zum hinteren Ende. Auf den ersten Blick fast unheimlich scheinen die Querverbindungen zwischen diesen Längsstreben, sind diese doch erst auf den zweiten Blick so richtig erkennbar bzw. sucht man zuerst noch vergeblich massivere Querträger. Stattdessen sind es durchsichtige Kunststoffbrücken, die sich an der Außenhülle des Helms quer über den Kopf ziehen und so den „Schutzhelm“ erst vollständig machen.
Angenehm ist die leichte Bauart im Stirnbereich, da ragt kein Material ins Gesicht, das Blickfeld ist nach vorne hin absolut frei - man merkt nichts vom Helm, hat man ihn erst einmal an die richtige Stelle gebracht. Am Hinterkopf bzw. im Nacken reicht der Helm weit genug herunter, um subjektiv als auch objektiv genug Schutz zu bieten. Der Synthe war hier gefühlt noch etwas filigraner und „leichter“, allerdings hatte man da auch ab und zu den Eindruck - vor allem wenn man andere Fahrer damit sah - als wäre da nur einen kleinen Deckel auf dem Kopf. Während bei meinem schwarzen Modell die obere Hälfte des Helms in mattem Finish ausgeführt ist, glänzen die beiden unteren Streben schwarz. Diese optische Unterscheidung ist auch der dezente Hinweis auf das Hauptfeature des Helms und die magischen vier Buchstaben „MIPS“.
MIPS
„MIPS“ steht für „Multi-Directional Impact Protection System“ und wurde vor einigen Jahren in Schweden erfunden. Überlegung dabei ist, dass die meisten Helme einen guten Schutz bei einem „linearen“ Aufprall bieten. Wir erinnern uns an die Melone, die man gerade auf den Boden fallen lässt? In der Praxis ist es allerdings eher unwahrscheinlich, dass man bei einem Sturz gerade auf ein Objekt zu oder eben in normalem Winkel auf den Boden zufällt. Für das menschliche Gehirn besteht allerdings speziell dann große Gefahr, wenn es zu einem schrägen Aufprall kommt und dadurch starke Rotationskräfte auf den Körper und eben das Gehirn wirken.
MIPS soll in genau diesen Fällen Abhilfe schaffen. Dies soll durch eine Zweiteilung des Helms geschehen - die Trennlinie auf der Oberfläche des Aether zwischen matt und glänzend ist genau diese Schnittstelle zwischen den beiden Hälften. Durch eine Entkoppelung der Helmhälften kommt es bei einem schrägen Aufprall zu einer Verschiebung der beiden Hüllen gegeneinander und somit zu einer (teilweisen) Absorption jener Kräfte, die sonst auf den Kopf oder das Gehirn wirken würden. Augenscheinlich wird diese Funktionsweise auch, wenn man am Helm einfach die beiden Teile gegeneinander bewegt - die Verschiebung der beiden Hälften ist klar ersichtlich und spürbar.
Die Kehrseite der Medaille - sofern zusätzlicher Schutz auch einen Nachteil haben kann: Das System schlägt mit einem Mehrgewicht von gut 50 Gramm zu Buche - verkraftbar in meinen Augen. Zweitens will die zusätzliche Sicherheit auch bezahlt werden. Auch wenn die Preisunterschiede zwischen MIPS und Nicht-MIPS nicht mehr so drastisch sind wie zur Einführung des Systems, man wird ein bisschen tiefer in die Tasche greifen müssen.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass MIPS keiner Marke oder Firma zugehörig ist - die schwedische Herkunft wurde und wird oft mit POC in Verbindung gebracht, allerdings besteht hier kein Zusammenhang. Eher im Gegenteil, setzt POC doch seit 2019 nicht mehr auf MIPS sondern hat mit der „SPIN“-Technologie ein ähnliches Konzept im Einsatz (das allerdings auf strategisch platzierte Polster setzt anstelle von schwimmend gelagerten Helmschalen).
Passform
Die Anpassung an den eigenen Kopf - so groß, klein, rund oder eckig er auch sein mag - sollte heutzutage keinen Helmhersteller mehr vor allzu große Herausforderungen stellen. Grundsätzlich die richtige Größe zu kaufen, sollte eine Frage des Hausverstands sein. Vorheriges Probieren und Vergleichen von Modellen und Größen sprechen im Fall von Helmen klar für eine Beratung und einen Kauf im Geschäft und nicht online. Gerade auch bei Helmen mit der MIPS-Technologie - wo es doch auch darum geht, dass Kräfte am und rund um den Kopf möglichst gut abgebaut werden sollen - ist die richtige Größe und Passform noch einmal wichtiger als bei einem Helm ohne diese Technologie.
Die Einstellmöglichkeiten bewegen sich beim Giro Aether im üblichen Ausmaß. Am Hinterkopf findet man ein gut verarbeitetes und haptisch ansprechendes Drehrad, mit dem der Umfang des Innenlebens des Helms an den Kopf angepasst wird. Die Einstellung verläuft dabei sehr fein und in kleinen Stufen. Das Innenleben kann herausgenommen, adaptiert, ausgetauscht und gewaschen werden, auch der Kinnriemen lässt sich in unterschiedlichen Varianten einstellen. Aus für mich unerfindlichen Gründen verzichten manche Hersteller (mittlerweile wieder?) auf eine Verstellbarkeit der Riemen unter den Ohren, also die Möglichkeit, das Dreieck um die Ohren zu vergrößern oder zu verkleinern. Beim Aether ist glücklicherweise auch das einfach möglich. Genau so filigran und leicht, wie der Helm aussieht, so fühlt er sich auch an, wenn man ihn erst einmal richtig an den eigenen Kopf angepasst hat.
Belüftung
Nach dem oben Gesagten sollte schon klar sein, wie es mit der Belüftung aussieht. Große Abstände zwischen Längsstreben und viel Platz unter den Querstreben sorgen dafür, dass der Fahrtwind hervorragend zum Kopf gelangt und damit auch für erstklassige Belüftung gesorgt sein sollte. Ehrlicherweise sei an dieser Stelle gesagt, dass ich während meiner Testfahrten in den letzten Monaten eher danach getrachtet habe, alle möglichen Öffnungen zu verschließen, um die kalte Winterluft möglichst von meinem Kopf fernzuhalten - aber die Bauform lässt mich sehr zuversichtlich auf den nächsten Sommer warten.
Mögliche Nachteile der großen Freiflächen betreffen auf der einen Seite natürlich Wettereinflüsse - jene, die ihr Haar gerne sehr, sehr, sehr kurz tragen, sollten für ausreichend Sonnenschutz oder eine adäquate Kopfbedeckung unter dem Helm sorgen. Ein anderes Thema sind Insekten und anderes Flugvieh, das sich schon mal unter den Helm verirren kann - hier sind meine Befürchtungen allerdings verschwindend gering. Aufgrund der schieren Größe der Öffnungen wird jedes Insekt im Nu wieder aus dem Helmbereich geweht und wird sich daher nicht lange dort aufhalten. Wie ich allerdings beim Arlberg Giro 2018 leicht panisch feststellen musste, finden Insekten ohnehin immer einen Weg, wenn sie wirklich wollen ;)
Fazit
Auf den eigentlichen Test - nämlich den Sturz - verzichten wir also. Umso mehr erfreuen wir uns an der neuen Version des Technologieträgers Aether aus dem Hause Giro. Was für die Profis im Peloton gut genug ist, wird auch für die Feierabend-Runde entlang der Donau ausreichen (vermute ich…). Im Sommer freue ich mich auf die gute Belüftung, der Helm sieht sehr schick aus und die paar Gramm Mehrgewicht des MIPS-Systems bin ich gerne bereit, „mitzuschleppen“. Schließlich sollen auf 169k ja noch längere Zeit Blogbeiträge und Fotos erscheinen!
Wie oben erwähnt, sei jeder und jedem ein Besuch des Radgeschäfts ihres/seines Vertrauens nahegelegt - Helmkauf sollte meines Erachtens nach vor Ort erfolgen. Mein Helm hat mit freundlicher Unterstützung von Pbike und Grofa Action Sports zu mir gefunden. Wer nicht die volle Breitseite von 250-350 Euro für eine MIPS-Version oder das Top-Modell Aether ausgeben möchte, findet im Sortiment von Giro ausreichend Möglichkeiten und Varianten, auch der bewährte Synthe ist nach wie vor erhältlich.
Johannes trägt den Giro Synthe
Fotos: Martin Granadia, Nora Turner, Aurel Stehmann
Was bringt 2019
Wie der Keks-Teller meiner Schwiegermutter füllen sich dieser Tage auch wieder laufend jene Listen mit Vorsätzen und Plänen, die man sich fürs anlaufende Jahr vornimmt, auf die Fahnen heftet oder gar lauthals in die Welt hinausschreit (auf dass diese Verbindlichkeit nicht zum Verhängnis wird). Neben rein keks-induzierten Vorsätzen - bei mir dauert die “Reparatur” der weihnachtlichen Gewichtszunahme erfahrungsgemäß mehrere Wochen - möchte ich wie jedes Jahr einige meiner Ideen für 2019 formulieren, wie immer ohne Reihung, Wertigkeit und endgültige Verbindlichkeit. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass sich viele Dinge erst unterjährig und meistens auch recht spontan ergeben, einige davon stellen sich dann als die besten Unternehmungen heraus - besser als man sie je hätte planen können…
Zwift
Mit ein paar Ausdauereinheiten auf der Rolle werde ich erst einmal die überzähligen Kilos beseitigen, die sich zuletzt angesammelt haben. Ich setze hier wie gehabt auf Zwift, die Trainingsplattform bietet aus meiner Sicht den besten Mix aus Leistung, Abwechslung und Spaß. Um den virtuellen Welten allerdings auch einmal einen Offline-Anstrich zu verpassen, freue ich mich besonders darauf, dass die alljährliche “Zwift x Wahoo-Tour” 2019 auch in Wien Halt machen wird. Am 18. Jänner 2019 bin ich daher im “WeXelerate” zu finden, gemeinsam mit ein paar anderen Verrückten, Begeisterten und Fans.
Weitradln
Es geht chronologisch weiter und gleichzeitig bildet der Februar so etwas wie einen Startschuss in die “ernste” Saisonplanung. Ich habe mir einen Vortrag von Christoph Strasser am 16. Februar im Audimax in Wien ausgesucht, der für mich symbolisch als Startpunkt für mein größtes Vorhaben 2019 dienen soll - mein persönliches Race Around Austria. Wer soll mich geistig und psychologisch besser auf ein derartiges Projekt einstimmen, als Mr. Weitradlfoarn Christoph Strasser.
Nach zwei Jahren, die ich das Race Around Austria mit der Kamera begleitet habe, kann ich 2019 nicht mehr anders, als selbst in die Pedale zu treten. Zu verlockend war und ist das Gefühl bei jedem Starter, der die Rampe in St. Georgen verlässt, mich selbst auf den Weg zu machen. Es wird die Einsteigervariante werden - die Race Around Austria Challenge, bei der 560 Kilometer rund um Oberösterreich zurückzulegen sind. Wie das funktioniert, haben Tini und Andi von geradeaus.at im vergangenen Jahr eindrucksvoll vorgemacht. Ich hoffe, dass sie mich mit wertvollen Tipps unterstützen, genauso wie ich jede und jeden ausfragen und ausquetschen werde, der mir in den letzten Jahren beim RAA begegnet ist und mir sachdienliche Hinweise geben kann. Die Vorbereitung macht jedenfalls schon einmal Spaß, hab ich doch schon während der Weihnachtsfeiertage etwas Zeit gehabt, mir über ein paar Dinge Gedanken zu machen und Pläne zu schmieden.
Wie genau die Vorbereitung für das RAA aussehen wird, ist noch nicht fixiert. Es gibt hier weder einen Trainingsplan noch irgendwelche anderen Vorgaben, einziger Plan ist derzeit, möglichst viele Kilometer auf dem Rad zu verbringen. Der Rest ergibt sich auf der Reise dorthin - wer an dieser Stelle ob dieses Auswuchses an Chaos und Planlosigkeit die Hände über dem Kopf zusammenschlägt, der sei beruhigt… Bis jetzt bin ich so ganz gut gefahren und habe auch vor, das so weiterzuführen. Mir ist nun einmal wichtig, dass auch der Weg zum Ziel Freude bereiten soll und nicht nur die Zieleinfahrt… Da wird sich aber bestimmt noch einiges tun in den nächsten Monaten und ich werde natürlich entsprechend berichten - hier und auf allen anderen Kanälen!
Rennkalender
Damit bis zum “D-Day” Mitte August auch sicher einige längere und flottere Einheiten dabei sind , hab ich den Rennkalender durchstöbert, um mir folgende Veranstaltungen vorzumerken: Osttirol im Juni bleibe ich treu, allerdings ist der Plan, statt der Dolomitenradrundfahrt auf die längere Strecke des Super Giro Dolomiti zu wechseln. Auch auf die längere Strecke wechseln werde ich bei den Wachauer Radtagen im Juli. Hier wird mein Verein - PBIKE - wohl wieder die inoffiziellen Vereinsmeisterschaften austragen, außerdem ist die Veranstaltung vor den Toren Wiens mittlerweile zu einem Fixtermin in meinem Radjahr geworden.
Wachauer Radtage (c) Sportograf
Offen ist, ob derzeit kursierende Ideen (Verbindlichkeit irgendwo zwischen Schnapsidee und Hirngespinst) Realität werden, und wir als Verein bei einem der Langstreckenrennen an den Start gehen, die Juni und Juli in den Rennkalendern zu finden sind. Glocknerman am 20. Juni oder Kaindorf am 20. Juli sind zwei dieser Möglichkeiten. Ein Start dort würde eine gute Vorbereitung auf das Race Around Austria bedeuten, außerdem nimmt das Team wohl etwas den Schrecken vor der Herausforderung. Kaindorf bietet neben dem klassischen 24h-Rennen auch die Möglichkeit eines 6h- oder 12h-Rennens, also auch eine Einstiegsmöglichkeit “light”. Hier müssen allerdings noch einige Vereinsabende vergehen, bis diese Ideen endgültig spruchreif sind und danach möglicherweise Realität werden.
Mitunter etwas gemütlicher geht es bei zwei anderen Veranstaltungen zur Sache, die ich mir ebenfalls einmal mit Bleistift in meinen Kalender eingetragen habe. Nummer 1 ist die In Velo Veritas, die Fahrt mit klassischen Stahlrennern durchs niederösterreichische Weinviertel. In den letzten Jahren stand ich vor dem schier unlösbaren Problem, dass In Velo Veritas und Dolomitenradrundfahrt immer am gleichen Wochenende stattfanden, und ich dabei (auch familienbedingt) immer Osttirol den Vorzug gegeben habe. 2019 finden die beiden Veranstaltungen an unterschiedlichen Terminen statt, Gelegenheit also, endlich wieder einmal mein Select “Weltrekordrad” auszumotten, mein Wolltrikot anzuziehen und von einer weingetränkten Labe zur nächsten zu radeln. Die gleichen Akteure sind auch beim zweiten Vorhaben am Werk, einer Fernfahrt von Wien nach Hamburg, die zur Feier des 150-jährigen Bestehens des ABC Altonaer Bicycle Club anhebt.
Mit ein paar mehr Trainingskilometern und der absolvierten Race Around Austria Challenge stehen im September schließlich noch zwei weitere Aufgaben an. Beim Velorun in meiner ehemaligen Heimatstadt Baden gilt es wieder, auf meinen damaligen Hausrunden einige “Personal Bests” in die Höhe zu heben. Und auch beim King of the Lake - dem Zeitfahren rund um den Attersee - ist eine neue Bestzeit fällig, wieder auf dem Zeitfahrer nämlich, nachdem ich ja dieses Jahr mit den Rennrad unterwegs war.
Bucket-List
Abseits von Rennen und organisierten Veranstaltungen harren auch unzählige Projekte auf meiner ganz persönlichen Rad-Bucketlist ihrer Erfüllung. Je nachdem, wann sich was und wie ausgeht, besteht die Speisekarte aus Vrsic und Mangart als Vorspeise, Stelvio als Hauptgang und ein paar Dolomitenpässen als Dessert. Auch der Mont Ventoux übt einen großen Reiz aus, hier ist aber die Anreise einfach sehr, sehr, sehr weit…
Fotos
Neben aktiver Zeit im Sattel ist mir auch Zeit hinter der Kamera wichtig. Ich bin jedenfalls wieder mit Kamera und Telefon bei der Österreich-Rundfahrt im Juli mit von der Partie - es waren tolle Erfahrungen, die ich bei meiner Premiere in diesem Jahr sammeln konnte, das möchte ich fortsetzen.
Aber auch beim Wiener Bahnorama im Dusika-Stadion, den VICC-Rennen auf der Donauinsel und wann immer es die Zeit erlaubt, werde ich mich mit der Kamera auf die Lauer legen, um den einen oder anderen Schnappschuss zu erhaschen.
Fotos werden demnach auch ein wesentlicher Pfeiler der Inhalte von 169k bleiben. Daneben möchte ich aber noch andere Bereich erschließen - erste Videos sind in Arbeit, Interviews ebenso. Für 2019 sind hier einige Neuerungen und Schmankerl vorgesehen, dranbleiben lohnt sich also!
N+1?
“Brauchen” wäre in diesem Zusammenhang sowieso das falsche Wort, “wollen” passt auch nicht so wirklich, hab ich doch für fast jeden Einsatzzweck geeignetes Gerät. Ein Zeitfahrer steht immer wieder mal auf der Wunschliste, für Race Around Austria und King of the Lake wäre so ein Rad außerdem schon ganz praktisch. Meinen Crosser habe ich hingegen ein bisschen auf “Adventure-Bike” umgebaut (näheres hier in Kürze) - die Idee dahinter ist, ein Rad für alle Einsatzzwecke zu haben (Straße, Cross und MTB light). Hier bin ich noch etwas am Tüfteln, da diese Einsatzbereiche einfach unterschiedliche Anforderungen mit sich bringen, die mitunter nicht ganz einfach unter einen Hut zu bringen sind. Abhängig davon, ob ich mit meiner derzeitigen Plattform (dem alten Crosser) das Auslangen finde oder nicht, wird es hier vielleicht ein N+1-Aufbau-Projekt geben.
So irgendwie “N+0,5” wird es im Frühjahr aber jedenfalls geben. Damit der Nachwuchs auch Radluft schnuppern kann und gleichzeitig die Trainings-Zeiteinteilung etwas effektiver wird, ist ein Radanhänger in Anschaffung - nicht für Gran Fondos, sehr wohl aber für kurze Ausfahrten auf der Donauinsel oder ähnliches. N+0,1 hingegen wird das erste Laufrad für den Junior - fast so schön, wie ein Rad für sich selbst zu kaufen!
Laufen
Sowohl aufgrund des Trainingseffekts als auch aus Zeitgründen, werde ich 2019 auch wieder öfters die Laufschuhe schnüren. Mit ein paar Kollegen wird es eine Staffel beim Vienna City Marathon im April geben, darüber hinaus möchte ich abseits ausgetretener Pfade mit Rucksack und GPS höher hinaus - in die Berge nämlich. Ob das dann Trailrunning ist oder Wandern oder schnelles Spazieren ist nebensächlich, das Naturerlebnis und die Berge stehen dabei im Vordergrund,
Neben allen Leistungen soll nämlich auch 2019 wieder die Freude als wesentlicher Antriebsgrund im Vordergrund stehen. Platzierungen sind mir seit jeher relativ egal, Rekorde sowieso - wichtiger das Erlebnis, die Erfahrung und die Erkenntnis, was man alles leisten kann und möchte (und leisten kann, WENN man es denn möchte).
In diesem Sinne einen schönen Start ins neue Jahr. Ich hoffe, den einen oder die andere (wieder) zu treffen - egal ob an einer Startlinie, bei einer Ausfahrt oder bei einer anderen Gelegenheit. Ich freu mich!
20. Wachauer Radtage - Rennbericht
Die Wachauer Radtage feiern Geburtstag - die 20. Ausgabe des Klassikers durch das Weltkulturerbe. Zur Feier des Tages hat man sich die drei Strecken nochmal genau angeschaut und für die 2018er-Ausgabe ein Best Of der bisherigen Streckenvarianten zusammengemischt. Dadurch ändern sich die Distanzen und Höhenmeter - genauso aber auch die Anforderungen, die Renneinteilung und der Rennverlauf. Wie die Strecken genau ausschauen, habe ich im Vorfeld der Radtage schon einmal zusammengefasst - hier der Überblick.
Raiffeisen Power Marathon
Ich stehe am Start des Raiffeisen Power Marathon, die Eckdaten: 85 Kilometer und rund 800 Höhenmeter durch die Wachau.
Start
Ich bin früher als letztes Jahr in Mautern beim Startgelände. Ich habe mir gemerkt, dass ich 2017 spät dran war und nur mehr den allerletzten Platz in der Startaufstellung ergattert habe. Die Zugänge zu den Startblöcken sind dieses Jahr etwas verbessert worden, trotzdem staut es sich an den Zugängen und es findet nicht mehr jeder den Platz, den er möchte. Ich bin einer von denen, die leicht außerhalb der Bande stehen und erst beim tatsächlichen Start einen Platz auf der Straße finden.
Dafür geht ab diesem Zeitpunkt alles sehr flott und reibungslos. Das Feld kommt schnell in Bewegung, keine der oft vorkommenden Stop-and-Go-Wellen, die ja auch ein gewisses Gefahrenpotential mit sich bringen. Schnell also über die Brücke bei Mautern auf die Nordseite der Donau und ab durch das Weltkulturerbe Wachau Richtung Spitz.
Ein paar Meter vor mir blitzt ein Trikot des Continental-Teams MyBike Stevens aus der Menge. Nach einer Woche bei der Österreich-Rundfahrt bin ich quasi schon konditioniert auf die Trikots der Profis. Bei der Ö-Tour wurde das Team leider von einem Magen-Darm-Virus heimgesucht, von Tag zu Tag waren weniger Fahrer des Teams am Start, bis am Ende nur noch ein Fahrer den Startbogen unterschreiben konnte. Einer derer, die da quasi vom Rad geholt wurden, war Maximilian Kuen. Nach einer tollen Performance bei den ÖSTM am Kahlenberg wäre er für die Rundfahrt in guter Verfassung gewesen. Die Wachauer Radtage sind seine erste "Ausfahrt" am Rad nach der Ö-Tour, er fährt außer Konkurrenz mit. Praktischerweise liegt sein Grundlagen-/Gemütlichkeitslevel irgendwo nahe bei meinem FTP-Wert - das ergibt eine gute Mitfahrgelegenheit durch die Wachau auf den ersten zwanzig flachen Kilometern.
Kurz vor Spitz zeigt mein Tacho einen Schnitt von gut 45 km/h an, das wird wohl nicht mehr lange so bleiben, steht doch der erste Hügel auf dem Programm. Das Feld hat sich schon etwas gelichtet, zum einen weil wenige Kilometer vorher die Feldtrennung stattgefunden hat - die Teilnehmer des Champion Marathons sind dort auf ihre lange Runde abgebogen, aber auch weil das Tempo eben recht hoch war.
Von Spitz steigt die Strecke nun leicht an. Ich bin diesen Streckenabschnitt vorab nicht gefahren und liege mit meinen Erwartungen daher etwas daneben. Statt dem befürchteten großen Anstieg geht es rollend über mehrere Hügel dahin, entsprechend hoch ist das Tempo. Im letzten Jahr ging es hier steiler und auch langsamer zur Sache (hinauf nach Nöhagen). Der Großteil der Gruppe, die im Flachen miteinander gefahren ist, bleibt auch hier zusammen. Die Labe am höchsten Punkt dieses Streckenabschnitts lasse ich aus - mit meinen zwei Flaschen komme ich locker über die Distanz, außerdem ist mir das Handling der Mineralwasserflaschen zu kompliziert, die man (zugeschraubt) in die Straße gereicht bekommt.
Trotzdem spüre ich langsam aber doch meine Beine. Ich bin gerade erst acht Tage lang im Auto gesessen, um mit der Kamera die Österreich-Rundfahrt zu begleiten. Acht Tage ohne Aktivität, acht Tage, in denen ich mich nur vermeintlich ausgeruht habe vom Radeln. Aber spätestens jetzt spüre ich, wie meine "Haxn aufgehen" - so hat es Rudi Massak, der Generalsekretär des Radsportverbands, beim gemeinsamen Abendessen zwei Tage zuvor vorhergesagt.
Die Donaubrücke bei Melk markiert ungefähr die Hälfte des Rennens. Genauso wie jeder Teilnehmer am Vienna City Marathon schmerzlich feststellen muss, dass die Reichsbrücke eigentlich ein kleiner "Berg" ist, so ist auch diese Donaubrücke mehr als nur ein kleiner "Schupfer", vor allem wenn man mit flottem Tempo auf die andere Seite gelangen will.
2017 ist es ab hier "nur noch" flach Richtung Ziel gegangen, in diesem Jahr geht es nur ein kurzes Stück die Donau entlang. In Aggsbach biegt man rechts in Richtung Dunkelsteiner Wald. Während der Ironman St. Pölten hier geradeaus hinauf nach Gansbach verläuft, biegen wir links Richtung Maria Langegg ab. Es wartet ein kurzer aber knackiger Anstieg mit bis zu 12 % Steigung auf ein paar Metern. Ich nehme mir vor, meine Komfortzone zu verlassen, und drücke den Anstieg hinauf. Oben angekommen durchfährt die mittlerweile stark zerfallene Gruppe einen Bogen und das Werk erscheint vollbracht. Ich habe meine Reserven so eingeteilt, dass ich hier leer bin - für die Abfahrt und die restlichen paar Kilometer ins Ziel brauche ich nicht mehr viel.
Erkenntnis 1 stellt sich ein - nämlich, dass sich die Woche im Auto doch stärker auswirkt als erwartet. Erkenntnis 2 betrifft die mangelnde Streckenkenntnis, kommen doch nach dem Bogen der Bergwertung noch drei oder vier kleine Anstiege - mit hundert bis zweihundert Metern Länge eigentlich nicht der Rede wert, aber im jetzigen Zustand nicht mehr sehr unterhaltsam. Ich verliere den Anschluss an die letzten Mitfahrer. Nur ein Kollege bleibt über, irgendwie kommen wir gemeinsam über die letzten Höhenmeter.
Die anschließende Abfahrt ist rasant, wie alle Teile des Marathons sind aber sämtliche Gefahrenstellen gut und deutlich gekennzeichnet. Während die meisten Marathons sich darauf beschränken, die Teilnehmer unzählige Haftungsausschlüsse und Verzichtserklärungen unterschreiben zu lassen, wird bei den Wachauer Radtagen zusätzlich dazu noch gute Vorarbeit geleistet - mit Videos der Strecke, Erklärungen der Gefahrenstellen und eben einer guten Kennzeichnung sowohl auf der Strecke als auch durch die vielfachen Streckenposten. Dennoch bleibt mir in der Abfahrt eine kurze Schrecksekunde nicht erspart. In einer schnellen Linkskurve liegt plötzlich am rechten Straßenrand ein Rad am Boden - ohne Vorderrad und dahinter ein steiler Abhang in den Wald hinunter. Ich schaue verdutzt um mich herum, bleibe stehen und erkenne einen Radler mit Laufrad in der Hand rund zehn Meter weiter unten im Wald stehen. Meine Frage, ob alles in Ordnung sei, wird glücklicherweise mit einem "Ja, danke" quittiert, so steht meiner Weiterfahrt nichts im Wege. Die dabei "verlorenen" Sekunden können für einen gestürzten Mitfahrer entscheidend sein, insofern nehme ich das gerne in Kauf. Und schon zu oft hat man Geschichten gehört, dass Radler nicht stehen bleiben, wenn rund um sie Stürze geschehen, obwohl es ja um wenig bis gar nichts geht...
Nach der Abfahrt folgen die letzten fünf Kilometer ins Ziel, wieder auf der Bundesstraße die Donau entlang. Gruppe ist keine mehr in Sicht, ich versuche noch einmal, aufs Tempo zu drücken, merke aber schnell, dass meine Beine leer sind. Meine Arbeit für heute ist getan, ich rolle gemütlich über die Ziellinie in Mautern.
Der 104. Rang steht später in der Ergebnisliste, Strava bestätigt mir in Zahlen den positiven Eindruck, den ich während des Rennens hatte. Zufrieden kann ich also im Ziel meine Erstverpflegung genießen - die Beine leer, der Erfahrungsschatz um ein Erlebnis reicher.
P.bike Vereinsmeisterschaften
Umso schöner ist es, dass im Ziel bereits meine Vereinskollegen vom PBIKE.AT-Racing Team auf mich warten. Die Tatsache, dass sie vor mir da sind, bedeutet zwar eine Niederlage in unseren internen Vereinsmeisterschaften, aber ich kenne ihre Leistungen zu gut - da hätte ich ohnehin keine Chance... Johannes ist am Schluss der Schnellste aus dem PBIKE-Stall - Gratulation nochmal an dieser Stelle.
Erwähnenswert jedenfalls auch der dritte Platz von Christoph im Rennen auf der langen Strecke!
2019?
Wir sehen uns jedenfalls im nächsten Jahr wieder. Schöne Strecke, tolle Organisation, kurze Anreise und ein tolles Teilnehmerfeld werden auch nächstes Jahr einen guten Rahmen bieten.
Das Copyright aller Fotos in diesem Blogpost (ausgenommen jenes von Christoph) liegt bei Sportograf.