King of the Lake 2021

Der 11. King of the Lake am 18. September 2021 war mein 5. Ich habe die Anfänge nicht miterlebt, wo der Verein Atterbiker zum ersten Mal eine Handvoll Fahrerinnen und Fahrer rund um den See geschickt hat, aber ich durfte die Entwicklung der letzten Jahre hautnah mitverfolgen. Und jedes Jahr wieder muss man fast zwangsläufig zu dem Schluss kommen, dass der “KOTL” eine der tollsten Veranstaltungen ist, die es wohl im Bereich des Radsports gibt. Die Pluspunkte klingen vielleicht schon etwas abgedroschen, aber man kann nicht anders als sie immer wieder aufzuzählen: eine wunderschöne Runde um den Attersee, vollständig gesperrte und abgesicherte Straßen, eine tolle Rennabwicklung, man trifft alte Bekannte, viele neue Gesichter und den einen oder anderen Pro, kann sich auf den gut 47 Kilometern ehrlich messen - ohne Hilfestellung und Geheimniskrämere, egal ob mit dem Zeitfahrer oder “normal” mit dem Rennrad. Und es bleibt ein Rätsel, wie Erwin Mayer, der Obmann der Atterbiker, das jedes Jahr mit dem Wetter hinkriegt. Auch wenn es davor und danach Regen, Sturm und Herbst geben sollte, am Renntag selbst war dem KOTL bis dato immer hervorragendes Wetter beschert - vermutlich ist es das Glück der Tüchtigen rund um den Attersee.

Das Ganze ist zur gleichen Zeit allerdings auch ein Fluch. Erstens für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die auf eine gute Platzierung spekulieren und dafür auch viel trainieren und investieren. Denn jedes Jahr wird das Starterfeld stärker und stärker, die Bekanntheit des KOTL zieht weitere Kreise und lockt die besten Fahrerinnen und Fahrer an den Attersee. Gewann Marcus Baranski im Jahr 2018 noch mit einer Zeit von 1:00:02, waren im Jahr darauf schon fünf Fahrer unter der magischen Stundenmarke. Der Sieger 2021 brauchte für die Runde um den See dann überhaupt nur noch 57:48, eine Wahnsinns-Leistung! Bei den Damen ist die Gewinnerinnenzeit übrigens weitaus „stabiler“, diese lag die letzten Jahre stets rund um großartige 1:05 und 1:06, mit einem Streckenrekord im Jahr 2021 durch Gabriela Erharter (1:04:55).

Meine persönliche KOTL-Bilanz liest sich natürlich nicht so beeindruckend… 1:22:06 im Jahr 2017 auf einem geborgten (und viel zu kleinen) Zeitfahrrad, auf dem ich beim Rennen zum zweiten Mal draufgesessen bin. 1:21:35 im Jahr 2018 auf dem Rennrad – das sagt wohl alles über mein Zeitfahrdebut im Jahr davor aus… 2019 und 2020 dann auf meinem eigenen Zeitfahrrad, das aber ehrlicherweise den Rest des Jahres ein Schattendasein fristen muss (1:16:57 bzw. 1:17:39). Und genau da müsste man ansetzen, wenn man beim KOTL nicht nur die großartige Landschaft und Atmosphäre genießen, sondern auch „was reißen“ will! Speziell mit einem Zeitfahrrad muss man sich intensiver beschäftigen, sich fitten lassen, seinen Körper trainieren und an die Position gewöhnen, den ungewohnten Druck auf die Oberschenkeln kennenlernen (zumindest ist das bei mir so), die Nackenmuskulatur stärken und natürlich auch auf die Stunde hintrainieren und sich quälen lernen. Ich war immer schon eher für „weit und langsam“ als für „kurz und schnell“. Und ich möchte an dieser Stelle ehrlich sein: Die Aussicht auf einen KOTL 2021, für den ich wiederum 1. nicht im Ansatz trainiert habe und 2. meine Position auf dem TT-Bike wieder nicht halten kann, hat mir etwas Kopfzerbrechen bereitet. Schließlich will ja auch keiner zum dritten Mal den gleichen Blogpost lesen, in dem ich mich über mein eigenes Unvermögen beschwere… Doch auch dafür hat der KOTL eine schnelle und einfache Antwort: die Teambewerbe! Im Vierer- (und seit 2020 auch im Zehner-)Team schaut die Runde um den Attersee nämlich bedeutend anders aus. Spoiler: Es wird nicht einfacher, aber anders.

Foto: Tana Hell

In meinem Verein, dem „PBIKE.AT Racing Team“ (in meinem Fall mit Betonung auf „nicht-racing“!) bin ich mit der Idee eines Viererteams natürlich schnell auf offene Ohren gestoßen. Am Ende waren es sogar zwei Mixed-Vierer-Teams, die wir im Anmeldedschungel des KOTL auf die Startliste bringen konnten. Wobei, das klingt jetzt etwas unfair dem KOTL gegenüber, eigentlich ist es ja eine gute Geschichte: Nachdem in den letzten Jahren die Startplätze für das Rennen innerhalb weniger Minuten ausverkauft waren, stellten die Atterbiker den Modus um. Ähnlich wie beim Ötztaler kauft man sich nun für ein paar Euro in eine Verlosung ein, die dabei eingenommenen Gelder gehen übrigens als Spende an das Rote Kreuz! Unter all diesen Voranmeldungen werden dann die tatsächlichen Startplätze verlost. Im Sinne der Fairness und Durchmischung war dieser Schritt in meinen Augen ein sehr guter und vernünftiger. Zum einen hat man nun eine Chance, auch wenn man am Tag X zur Uhrzeit X gerade nicht vor dem Computer sitzt. Zum anderen hatte ich 2021 tatsächlich auch den Eindruck, als wäre das Fahrer*innenfeld etwas durchmischter – offenbar sinkt die grundsätzliche Hemmschwelle beim KOTL mitzufahren, nun da der zeitliche Stress der Anmeldung wegfällt. Vielleicht weil es dadurch nicht schon von Beginn an total kompetitiv und vermeintlich mit großem Druck zur Sache geht. Und so gut auch ein konstantes und gutes Starterfeld für ein Event ist, es muss doch auch immer die Möglichkeit geben, das Interessierte dazustoßen können und die Kunde vom tollen KOTL dann auch wiederum hinaus in die Welt tragen.

Viererteam bedeutet dann allerdings auch eine Verantwortung gegenüber den Mitfahrenden, man kann sich auf der zweiten Streckenhälfte nicht mehr in Selbstmitleid baden sondern muss weitertreten. Wenn nicht für einen selbst, dann für das Team. Ich, der ich große Teile meiner Radsport“karriere“ alleine bestreite, muss mich darauf immer erst wieder einstellen. Und das hat nichts mit Egoismus zu tun, sondern eher damit, ob man gewöhnt ist, häufig mit anderen zu fahren oder nicht (glaube ich zumindest…). Ein Viererteam sollte dann aber trotz allem nicht völlig unvorbereitet an den Start des KOTL (oder eines anderen Mannschaftszeitfahrens) gehen. Ich habe mir dazu noch schnell ein paar Tipps von Tristan Hoffmann geholt, der immerhin schon in einem Conti-Team um den See gezischt ist. Seine Tipps waren knapp aber hilfreich:

  1. Möglichst einheitliches Leistungsniveau innerhalb der Mannschaft

  2. Klare Kommunikationsregeln beim Fahren und Durchwechseln (Handzeichen oder Schreien)

  3. Gleichmäßiges Tempo und Vermeidung von plötzlichen Tempoverschärfungen (vor allem dann, wenn der gerade ausgeschwenkte Fahrer noch nicht wieder hinten eingeordnet ist)

  4. Wenn eine*r schwächer wird, soll er oder sie trotzdem noch den Kreisel mitfahren aber nur kurze Ablösungen vorne fahren – das ist noch immer weniger fordernd als hinten ein Loch zuzufahren, das zwangsläufig entsteht, wenn sich der Fahrer davor wieder einreiht

Um das alles im Team auszuprobieren, um zu sehen, wie die anderen ticken und auch ein gemeinsames Tempo herauszufinden, sind wir im Vorfeld des Rennens immerhin einmal gemeinsam ausgezogen. Hat man größere Ambitionen, sollte bzw. muss man hier natürlich mehr investieren, ausprobieren und üben. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn in einem Team mittendrinnen die Zuordnung nicht mehr passt und man wertvolle Meter und Sekunden (oder gar Minuten) verschwendet, sich neu zu sortieren oder Dinge auszudiskutieren.

Renntag am Attersee! So sehr ich gerade noch von Einzelgängertum und Individualismus geschwafelt habe, so muss ich doch zugeben, dass das gemeinsame Hinfiebern, das Besprechen vor dem Rennen, die gemeinsame Vorbereitung, riesigen Spaß machen. Und für mich verändert das auch den Charakter der gesamten Veranstaltung und so sehr unterscheidet sich diese Erfahrung von den Vorjahren. Auch dort habe ich einen Haufen Leute getroffen, war mit Nora und Aurel vorab eine kurze Runde rollen und Kaffee trinken, hab mir die anderen Starter angeschaut und etwas fotografiert. Aber in der Gruppe ist das einfach etwas ganz anderes, etwas Besseres. Es entfällt dieses Wissen, dass man gleich mutterseelenalleine und auf sich gestellt um diesen See herumfahren wird bzw. muss.

Und so stehen wir zu viert auf der Startrampe, die Reihenfolge in der wir fahren werden ist festgelegt – böse Zungen werden danach behaupten, sie hätten die vier Daltons auf der Strecke gesehen, sauber sortiert von groß nach klein… Das Wetter ist schön, allerdings ist der Wind diesmal neu – kommt dieser doch schon auf der ersten Hälfte von vorne. Normalerweise rechnet man am späteren Nachmittag erst auf der Rückfahrt einen leichten Gegenwind von links vorne ein. Aber in der Gruppe verliert dies gleich einmal seinen Schrecken. Es geht flott am Ufer entlang Richtung Weyregg, Steinbach und Weißenbach. Wir werden überholt, überholen und matchen uns mit zwei anderen Viererteams. Diese bestehen mittlerweile nur noch aus drei Mitstreitern, in uns keimt der Gedanke, dass unsere Auf- und Einteilung und unsere Gruppendynamik gar nicht so schlecht funktioniert! Was ich in den letzten Jahre beobachtet habe, kann ich nun am eigenen Leib erleben: Stoßen mehrere Viererteams aufeinander, kann es schon einmal etwas enger und unübersichtlich werden. Vor allem auch im Hinblick auf das Verbot des Windschattenfahrens ärgert mich etwas, dass überholende Teams gleich vor uns wieder nach rechts scheren und uns quasi in ihren Windschatten zwingen. Dann überholt man sie gleich wieder zurück (sind ja nur noch zu dritt), und dann das ganze wieder von vorne. Darauf muss man sich einstellen und das muss man einkalkulieren.

Nach Unterach hinauf wartet die Quasi-Bergwertung des King of the Lake. Im Vorfeld habe ich versucht, den beiden PBIKE-Teams ein paar Streckentipps mit auf den Weg zu geben. Der Anstieg bei Unterach, den bei mir verhassten Hügel bei Parschallen, die Wellen durch Nussdorf und der kurze Stich bei Buchberg. Überall hab ich von den fürchterlichen Anstrengungen erzählt, die dort auf einen warten, wenn man am letzten Loch daherkommt und keine Kraft mehr in den Beinen hat. Und in den letzten Jahren, wo ich dort alleine unterwegs war (und jeweils schon mit recht leeren Beinen!), waren diese Hügel tatsächlich große Prüfungen für mich, sodass die Anstiege zu gefühlt kilometerlangen Herausforderungen angewachsen sind. In einem Viererteam gestaltet sich das jedoch anders, wie ich herausfinden muss. Als wir nämlich auf eine dieser vermeintlichen Prüfungen nach der anderen zurollen, merke ich zwar eine gewisse Anstrengung und Verschärfung, die Meter fliegen im Team allerdings nur so dahin. Man konzentriert sich darauf, das Hinterrad des Vordermannes oder der Vorderfrau zu halten, optimiert seinen Windschatten je nach Wind und schmökert durch die Leistungsfelder auf dem Wahoo. Und plötzlich ist der Anstieg auch schon wieder vorbei – schon während der Fahrt denke ich mir, dass ich meinen Kolleg*innen gegenüber vielleicht etwas zu sehr dramatisiert habe. Aber alleine fühlt sich das tatsächlich anders an – das zu meiner Verteidigung! Auch die Phase, wo bei mir der KOTL immer etwas lang geworden ist – irgendwo zwischen KM 30 und 40 – bleibt diesmal aus. Das 10 KM-Schild am Rand der Strecke, noch 5 KM, mein Hotel bei KM 2, der letzte kleine Schupfer und dann nur noch hinunter, im rechten Winkel über die Agerbrücke und ins Ziel. So kurzweilig war der KOTL für mich noch nie!

Am Ende landen wir bei 1:12:13, als Team sind wir sehr zufrieden. In der Mixed-Wertung werden wir am Ende den 14. Platz belegen. Das flottere Team PBIKE.AT 1 wird auf Platz 8 landen – Kudos an dieser Stelle! Die Zeiten des Viererteams mit meinen vorherigen Einzelzeiten zu vergleichen, macht nicht wirklich Sinn. Vielmehr bin ich zufrieden mit der Leistung und mit der Dynamik, wie wir das gemeinsam als Vierer-Team geschafft haben. Alles hat so funktioniert, wie wir uns das im Vorfeld ausgemalt und ausgemacht hatten. Auch das Ziel, zu viert und gleichzeitig ins Ziel zu kommen, ist erfolgreich abgehakt. Zur Einordnung: Bei Viererteams zählt die Zeit des oder der Dritten, das heißt eine Person darf man unterwegs „verlieren“. Bei Mixed-Teams muss allerdings die Dame eine dieser ersten drei sein.

Mit ein paar Tagen Abstand bleibt die Erkenntnis, dass der King of the Lake jedenfalls eine großartige Veranstaltung ist, und jede und jeder einmal ausprobieren sollte, so schnell wie möglich um den Attersee herumzufahren. (Moment – das war vorher auch schon klar…). Für mich tatsächlich neu war die Team-Erfahrung, das gemeinsame Erlebnis und Bewältigen dieser Challenge. Ob es im Team besser oder schlechter, einfacher oder schwerer ist, als alleine, das möchte ich gar nicht versuchen zu beurteilen. Es ist einfach anders. Alleine ist die Herausforderung jedenfalls eine größere und die 47 Kilometer lange Strecke fühlt sich alleine viel, viel länger an als im Team. Das Durchhalten, das Durchbeißen und der Kopf spielen bei einem Solo-Start jedenfalls eine größere Rolle. Gleichzeitig ist aber auch das Achievement ein größeres, wenn man sich alleine um den See gekämpft hat. Im Team steht das gemeinsame im Vordergrund, da kann man sehr viel Energie und Freude daraus ziehen.

Aber was rede ich, am besten man probiert beides einmal aus…! Gleich nächstes Jahr zum Beispiel…

(Fotos von mir hat der Sportograf gemacht)